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Ladislaus Ludescher, Die amerikanische Revolution und ihre deutsche Rezeption. Studien und Quellen zum Amerikabild in der deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts. (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 232) De Gruyter, Berlin – Boston 2020. XII/793 S. mit CD-ROM, € 149,95

Schmidt, Florian
In: Arbitrium, Jg. 39 (2021-11-10), S. 329-331
Online unknown

Ladislaus Ludescher, Die amerikanische Revolution und ihre deutsche Rezeption. Studien und Quellen zum Amerikabild in der deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts. (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 232) De Gruyter, Berlin – Boston 2020. XII/793 S. mit CD-ROM, € 149,95 

Ladislaus Ludescher, Die amerikanische Revolution und ihre deutsche Rezeption. Studien und Quellen zum Amerikabild in der deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts. (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 232) De Gruyter, Berlin – Boston 2020, XII/793 S. mit CD-ROM, € 149,95.

Ladislaus Ludescher hat, wie schon der Titel nahelegt, gleich zwei Bücher zum Thema veröffentlicht, nämlich einen in gedruckter Form vorliegenden, schon für sich genommen umfangreichen Darstellungsteil und eine digital vorliegende „Lyrikanthologie". Um mit Letzterer zu beginnen: Hier ist mit großem Aufwand und Akribie Grundlagenarbeit geleistet worden. Ludescher hat über 40 deutsch-amerikanische Periodika, mithin ein in der Aufklärungsforschung weithin unbekanntes Textkorpus, systematisch nach lyrischen Texten durchforstet, aber auch in Europa gedruckte lyrische Americana aufgenommen. Vorgelegt wird eine 1948 (!) Seiten umfassende Edition von 355 Gedichten, die jeweils annotiert, kurz kommentiert und mit bibliographischen Hinweisen versehen sind. Die systematische Anordnung ist in einer tabellarischen Synopse übersichtlich und plausibel gemacht. Ludescher komplementiert so die von Horst Dippel vorgelegte Studie Deutschland und die Amerikanische Revolution (1972) und leistet damit einen wichtigen editorischen Beitrag zur aktuell florierenden literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung.

Das Amerikabild des 18. Jahrhunderts in einem „imagologischen Paradigma" (S. 20) zu erschließen kündigt die Einleitung des Darstellungsteils an. Amerika ist, wie Ludescher einleitend festhält und dann an umfangreichem, über die Lyrikedition weit hinausgehendem Material zeigt, im 18. Jahrhundert aus europäischer Perspektive „Projektionsraum" (S. 1) für politische und soziale Utopien, ein „Negativ Europas" (S. 5), dabei aber ein realer politisch-sozialer Raum, der sich durch die schiere Entfernung für Projektionen aller Art anbietet, weil der Abgleich mit der Realität größtenteils nur durch Schrifttum vermittelt stattfinden kann. Dem entspricht die von Ludescher beobachtete Verschränkung von Fiktion und Realität insbesondere in der Literatur zur überwiegend positiv rezipierten amerikanischen Revolution und zum Unabhängigkeitskrieg, die sich zeitgenössisch und auf Tagesaktualität bedacht gibt, ohne aber in dieser Referenzialität aufzugehen.

Das erste Analysekapitel (II) setzt mit einem bekannten Text ein, Schubarts Freyheitslied eines Kolonisten, das Ludescher einer detaillierten Analyse und einer breiten Kontextualisierung unterzieht. Ludescher zeigt den militärischen, geradezu militaristischen Charakter des Textes auf, der formal durch die variierte Chevy-Chase-Strophe auf die deutschsprachige Kriegslyrik des 18. Jahrhunderts verweist, was sich auf der Inhaltsebene durch die Glorifizierung des Generals Putnam und die Sieg-oder-Tod-Parole wiederfindet. Damit einher geht eine „Sakralisierungstendenz" (S. 49), die Ludescher hauptsächlich an der Darstellung Putnams (als imitatio Christi, als zweiter Moses) festmacht, so dass der Unabhängigkeitskrieg als „religiös sanktioniert und implizit sogar gottgewollt dargestellt" (S. 54) wird.

Das folgende Großkapitel geht von David Christoph Seybolds Briefroman Reizenstein. Die Geschichte eines deutschen Officiers von 1778/79 aus, an dem sich die Verknüpfung von Referenz und Projektion paradigmatisch schon allein daran zeigt, dass die Handlung bis ins Jahr 1780 reicht, also über den Publikationszeitpunkt hinausweist und so utopische Entwürfe in den angenommenen Verlauf des Unabhängigkeitskrieges projiziert werden können. Diese sind, wie Ludescher zeigt, im Wesentlichen arkadischer Natur: Ein in Europa von den Figuren nur als Feier erlebbarer idyllischer Zustand wird vom Protagonisten nach der Emigration in South Carolina auf Dauer gestellt. Ludescher arbeitet anhand des Romans breit die Topoi des deutschsprachigen Amerikadiskurses heraus: die Kritik an der europäischen moralischen Dekadenz, an mangelnder religiöser Toleranz, an der Ökonomie, am Ständesystem etc. Die Subsidienverträge und der sogenannte ‚Soldatenhandel' sind ein zentrales Thema des Romans, sie initiieren die ursprüngliche räumliche Bewegung der Hautfigur nach Amerika. Die Kritik am ‚Soldatenhandel' wird dabei, wie Ludescher auch aus dem Kontext zeigen kann, mit dem transatlantischen Sklavenhandel enggeführt – der offensichtlich als das noch größere Unrecht gilt und so gewissermaßen für das Argument gegen die Zwangsaushebungen instrumentalisiert werden kann. Dass im 18. Jahrhundert durchaus ein politisches Bewusstsein vom Unrecht der Sklaverei bestand, lässt sich vielfach zeigen, allerdings in der Regel insbesondere dann, wenn man wie Ludescher die Pfade des Kanonischen verlässt. In Seybolds Roman kann das Problem, gleichzeitig in arkadischer republikanischer Freiheit zu leben und am System der Sklaverei aktiv beteiligt zu sein, nur durch den (im Übrigen ebenfalls topischen) Rekurs auf den ‚guten Sklavenhalter' und eine für die Zukunft in Aussicht gestellte Befreiung der Sklaven befrieden, aber nicht lösen. Der Roman schließt Ludescher zufolge mit einem „protokommunistische[n] Gesellschaftsmodell" (S. 221), das aber im Gegensatz etwa zu Schnabels Insel Felsenburg geographisch und zeitlich konkretisiert wird.

Es ist vielleicht bezeichnend, dass die folgenden drei, den kanonischen oder zumindest kanonischeren Autoren Klinger und Lenz gewidmeten Kapitel insgesamt ein deutlich geringeres politisches Profil zutage fördern: Bei Klinger (Sturm und Drang, Geschichte eines Teutschen der neusten Zeit und Der Weltmann und der Dichter) erscheint Nordamerika im Wesentlichen als Ort der Realisierung privater emotionaler Wünsche, auch wenn die Debatte zu den Subsidienverträgen in Klingers Romanen noch einmal aufgegriffen wird. In Lenz' Waldbruder fungiert die „Neue Welt als mögliches geografisches und sozialpolitisches Aktionsfeld" (S. 335), die Teilnahme am Krieg gilt Lenz so vor allem als Möglichkeit der (männlichen) Selbstverwirklichung und des sozialen Aufstiegs.

Das umfangreiche Kapitel VIII wechselt den geografischen Fokus und nimmt Lyrik im Umfeld der pennsylvanischen Druckerfamilien Saur und Miller in den Blick, die Ludescher zufolge „entscheidend an der Genese und Tradierung einer kollektiven deutsch-amerikanischen Identität und Kultur beteiligt" (S. 387) waren, auch durch die in ihren Periodika veröffentlichte Lyrik. Ludescher zeigt dabei zunächst einen dem pietistischen Hintergrund geschuldeten deutlichen Fokus auf religiöse Themen auf und wendet sich dann der politischen Haltung zu, die im Fall der Saurs loyal zum jeweils bestehenden Machtinhaber war, im Falle Henrich Millers von Beginn an prorevolutionär, wobei Ludescher erneut die „Konnotation der politischen Aussagen mit religiösen Elementen" (S. 425) aufweist. Die folgenden beiden Kapitel widmen sich mit George Washington (VIII) und Benjamin Franklin (IX) zwei „Personifikationen der nordamerikanischen Freistaaten" (S. 465) und ihrer publizistischen und literarischen Rezeption. Hier wiederholt sich der in der Arbeit mehrfach vorkommende Befund einer gleichzeitigen Parallelisierung mit antiken Heldenfiguren und Sakralisierung beziehungsweise Apotheosen der founding fathers. Wie durchgängig arbeitet Ludescher auch hier auf breiter nicht-kanonischer Materialbasis wie etwa Johann Jacob Meyens Versepos Franklin der Philosoph und Staatsmann (1787). Die Arbeit schließt mit einem biografischen Exkurs zu dem Zauberkünstler Jacob Meyer alias Philadelphia.

Ludeschers Ausführungen sind historisch fundiert, kenntnisreich und bis ins Detail der historischen Ereignisse instruktiv. Mit ihrem Fokus auf Periodika und der transatlantischen beziehungsweise globalen Perspektive trifft die Studie aktuelle Desiderate der Aufklärungsforschung. Hervorzuheben ist die stupende Breite des Materials, an dem die Verbreitung der Amerika-Topoi in extenso nachgewiesen wird. So erfreulich und beeindruckend diese Materialsättigung ist: Dem Buch hätte mehr Fokussierung und Stringenz gutgetan. Der bisweilen additive Aufweis der Rekurrenz von Themen und Debatten stört den Lesefluss. Insbesondere gilt das für die immer wieder eingeschobenen Ausblicke ins 19. oder gar 20 Jahrhundert – diese hätten vielleicht besser ihren Ort in einem der Studie fehlenden eigentlichen Schlusskapitel finden können, das den Erkenntnisgewinn fokussiert hätte ausstellen können. Eine zweite Kehrseite der Materialsättigung ist, dass systematische und konzeptionelle Aspekte etwas hintanstehen. Wünschenswert wäre eine stärkere Reflexion der medialen Orte (Journal, Buch, Flugblatt etc.) dieser Literatur im Hinblick auf ihre Verfahren und Themen gewesen, die dann vielleicht auch das in der Einleitung nur angerissene Verhältnis von Poesie und Politik im 18. Jahrhundert (S. 17) weiterführend erhellen könnte. Auch die in der Einleitung angekündigte Imagologie bleibt in den Analysen allenfalls implizit präsent, hätte aber doch durchaus Erkenntniswert gehabt, wenn es um die von der Amerikaliteratur konstruierte Dialektik von nationalen Eigen- und Fremdbildern geht.

Nun kann und muss eine Dissertation nicht alles leisten, schon gar nicht, wenn sie zugleich ein Editionsprojekt darstellt. Die Gesamtleistung dieser Publikation ist unbedingt zu würdigen. Ladislaus Ludescher hat sowohl eine umfassende Darstellung vorgelegt als auch ein umfangreiches Textkorpus verfügbar gemacht. An beides kann und sollte die zukünftige Forschung zu deutsch-amerikanischen Fragen, aber auch zur politischen Literatur des 18. Jahrhunderts anschließen.

By Florian Schmidt

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Titel:
Ladislaus Ludescher, Die amerikanische Revolution und ihre deutsche Rezeption. Studien und Quellen zum Amerikabild in der deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts. (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 232) De Gruyter, Berlin – Boston 2020. XII/793 S. mit CD-ROM, € 149,95
Autor/in / Beteiligte Person: Schmidt, Florian
Link:
Zeitschrift: Arbitrium, Jg. 39 (2021-11-10), S. 329-331
Veröffentlichung: Walter de Gruyter GmbH, 2021
Medientyp: unknown
ISSN: 1865-8849 (print) ; 0723-2977 (print)
DOI: 10.1515/arb-2021-0068
Schlagwort:
  • General Medicine
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: OpenAIRE

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