Zusammenfassung: Die Immobilienbranche nimmt eine Schlüsselfunktion in der Klimaschutz- und Energiepolitik Deutschlands ein, da durch sie große Einsparungspotenziale bei Energieverbrauch und CO2-Emissionen identifiziert werden. Der Energieausweis stellt ein wichtiges Informationsinstrument dar, um Aufschluss über die energetische Qualität einer Immobilie zu erlangen. In der vorliegenden Studie werden die Wahrnehmung und der Einfluss des Energieausweises anhand sich ergänzender Methoden untersucht: Experteninterviews, Choice-Based Conjoint-Analyse (CBCA) und hedonisches Preismodell. Neben der Analyse hypothetischer Mietentscheidungen bei Wohnimmobilien steht auch der Preiseffekt des Energieausweises in realen Mietentscheidungen im Fokus dieser Untersuchung. Die Ergebnisse zeigen zum einen eine vergleichsweise hohe Bedeutung der energetischen Qualität einer Immobilie bei der indirekten Ermittlung von Präferenzen im Rahmen der CBCA. Zum anderen ergibt sich aufgrund des vorhandenen Bewusstseins bei der realen Mietentscheidung ein positiver Preiseffekt für energetisch effiziente Wohnungen von bis zu 7,1 %. Eine Intensivierung der Preiseffekte nach Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen spricht für eine höhere Markttransparenz durch die Einführung der Vorlagepflicht des Energieausweises. Es bestehen jedoch weiterhin Defizite in der Umsetzung, sodass abschließend Empfehlungen für eine Weiterentwicklung des Informationsinstruments gegeben werden.
The real estate sector plays a key role in the German climate and energy policy due to its great potential for reducing the energy consumption and CO2 emissions. The Energy Performance Certificate (EPC) represents an important tool to provide information concerning the energy quality of a certain property. The introduction of the obligation to disclose the EPC when residential buildings are offered for sale or rent in 2014 should further strengthen the role of the information tool. This study investigates the perception and influence of the EPC using the following complementary methods: expert interviews, choice-based conjoint analysis and hedonic pricing model. In addition to the analysis of hypothetical rental decisions on residential properties, this study also focuses on the resulting price effect of EPCs. The results show on the one hand a relatively high importance of the energy quality when tenants' preferences are determined indirectly. On the other hand, the price effect for energy-efficient apartments amounts up to 7.1%. The price effect also intensifies after the recast of the legal provisions indicating a higher transparency of the market through the introduction of the disclosure obligation. However, there are still obstacles, which require further development of the information tool in order to exploit the potential of the EPC.
Keywords: Energieausweis; Vorlagepflicht; Wohnimmobilien; Conjoint-Analyse; Preiseffekt; Energy Performance Certificate; Obligation to Disclose; Residential Properties; Conjoint Analysis; Price Effects
Vorherige Versionen dieses Beitrags wurden als Working Paper auf mehreren Plattformen veröffentlicht. Deren Namen wurden der Editorin mitgeteilt.
Bei der Erreichung energie- und klimapolitischer Ziele wird der Immobilienbranche eine Schlüsselfunktion zugesprochen: Auf den Gebäudesektor entfallen global 32 % des Endenergieverbrauchs, 19 % der CO
Von Interesse sind neben ökologischen auch ökonomische Aspekte. Vor dem Hintergrund steigender Wärme- und Strompreise nimmt die Attraktivität energieeffizienter und somit energiesparender Immobilien zu. In Deutschland ist das Ausgangsniveau beim energiesparenden, ressourcenschonenden und gesundheitsgerechten Planen, Bauen und Betreiben von Immobilien aufgrund des vorhandenen Umweltbewusstseins der Bevölkerung bereits vergleichsweise hoch (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) [
Im Jahr 1976 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Energieeinsparungsgesetz (EnEG), das den Grundstein für die folgenden gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung ökologischer Standards legte. Seit dem Jahr 2001 stellt die darauf aufbauende Energieeinsparverordnung (EnEV) Mindestanforderungen an die energetische Qualität von Gebäuden, um den Energie‑, Heizungs- und Warmwasserbedarf zu senken (Ebert et al. [
Ziel des Energieausweises ist es, ein einheitliches, kostengünstiges sowie leicht verständliches Instrument bereitzustellen, das über die energetische Qualität eines Gebäudes aufklärt. Zudem soll der Energieausweis zu einem deutschlandweiten, objektiven Vergleich der Energieeffizienz von Gebäuden beitragen. Aus ökonomischer Perspektive kann der Energieausweis durch Preissignale dazu motivieren, die Energieeffizienz in die Miet- bzw. Kaufentscheidung einfließen zu lassen. Ein Nutzenzuwachs durch eine energieeffiziente Immobilie kann sich in unterschiedlicher Weise als monetärer Preiseffekt niederschlagen: Zum einen, indem Energiekosten durch einen niedrigeren Energieverbrauch reduziert werden, zum anderen durch indirekte Effekte wie einen höheren Werterhalt, einen steigenden Wohnkomfort oder eine Art Versicherung gegenüber potenziell steigenden Energiekosten.
Generell wird jedoch kritisiert, dass die unterschiedlichen Ausstellungsformen als Bedarfs- sowie Verbrauchsausweis und ihre Implikationen für den Verbraucher oft intransparent und schwer zu vergleichen sind. Der Unterschied zwischen den Energiekennwerten von Bedarfs- und Verbrauchsausweis liegt beispielsweise durchschnittlich bei 25 % (Verbraucherzentrale NRW [
Bisherige Studien beschäftigen sich vorwiegend mit dem Einfluss des Energieausweises auf die Kaufentscheidung einer Immobilie und weisen auf bestehende Barrieren hin. Adjei et al. ([
- Wie werden der Umgang mit dem Thema Energieeffizienz und die Rolle des Energieausweises als Entscheidungskriterium von unterschiedlichen Marktakteuren (z. B. Interessenvertretung von Mietern sowie Eigentümern) eingeschätzt?
Im Gegensatz zu bisherigen Forschungsarbeiten sollen die Immobilienmerkmale nicht ausschließlich separat (d. h. direkt) abgefragt, sondern eine Immobilie vielmehr als Nutzenbündel verstanden werden, das durch verschiedene Eigenschaften gekennzeichnet ist. Vorteile werden in der Vermeidung von „information bias" und „strategic bias" gesehen, die zu Antwortverzerrungen und Problemen bei der Ableitung absoluter Zahlungsbereitschaften führen (Schober [
- Inwiefern beeinflusst die Energieeffizienz einer Wohnimmobilie die (hypothetische) Mietentscheidung?
Damit der Wert des Energieausweises tatsächlich zum Tragen kommt, müsste eine Auswahlsituation mit ausreichend Vergleichsobjekten auf dem realen Immobilienmarkt vorhanden sein. Der Fokus der Forschungsarbeit liegt im Folgenden nicht nur auf hypothetischen Auswahlsituationen, sondern auch auf dem Einfluss in realen Immobilienmärkten. Der sich einstellende Preiseffekt für den Energieausweis kann anhand eines hedonischen Preismodells gemessen werden. Die aktuelle Forschung hinsichtlich energieeffizienter Immobilien konzentriert sich bislang auf freiwillig zertifizierte, gewerbliche Immobilien. Eichholtz et al. ([
- Stellt sich ein Preiseffekt für den Energieausweis bei Neuvermietungen ein und wenn ja, in welchem Verhältnis steht dieser Effekt zu den durchschnittlichen Energiekosten?
Der Wohnungsmarkt in NRW ist durch eine hohe Komplexität, ausgedehnte Ballungsräume, regionales Bevölkerungswachstum sowie durch Marktsegmente mit einem Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage gekennzeichnet (LEG Immobilien AG [
Mit dem Auslauf der Übergangsfrist für die Vorlagepflicht des Energieausweises im Mai 2015 sollte sich eine erhöhte Markttransparenz eingestellt haben. Potenzielle Mieter müssten nun bezüglich des energetischen Zustands einer Wohnung und bautechnisch benötigter Modernisierungsmaßnahmen vollständig informiert sein. Zu erwarten wäre eine Erhöhung des Preisaufschlags für energieeffiziente Mietwohnungen sowie eine Verstärkung des Preisabschlages für wenig effiziente Wohnungen. Die Analyse von Preiseffekten wird daher durch die folgende Fragestellung erweitert:
- Wie wirken sich a) die Immobilienmarktsituation und b) die Einführung der verbindlichen Vorlagepflicht des Energieausweises im Jahr 2014 auf einen möglichen Preiseffekt aus?
Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden drei verschiedene Methoden verwendet: eine Expertenbefragung und eine experimentelle Analyse – exemplarisch auf den Aachener Immobilienmarkt zugeschnitten – sowie eine empirische Analyse des gesamten Immobilienmarktes in NRW.
Zunächst sind sechs Experteninterviews durchgeführt worden, um die Wahrnehmung des Energieausweises und dessen Informationsgehalt grundlegend einschätzen zu können. Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage sind Akteure aus den Bereichen der Energieberatung, der Interessenvertretung von Mietern und Eigentümern sowie des Verbraucherschutzes im Rahmen individueller, ca. einstündiger Interviews befragt worden. Die Liste der Interviewpartner kann beim Autorenteam angefragt werden. Da sich lokale Immobilienmärkte in NRW stark unterscheiden können, liegt der Fokus beispielhaft auf dem Aachener Immobilienmarkt, der auch für die spätere experimentelle Analyse genutzt wird. Die Städteregion Aachen erweist sich als geeigneter Teilmarkt, da sie zu den zwölf wichtigsten Standorten in NRW gehört (LEG Immobilien AG [
Die Methode der auswahlbasierten Conjoint-Analyse, der sogenannten Choice-Based Conjoint-Analyse (CBCA), bietet die Möglichkeit, den Einfluss der Energieeffizienz auf die Objektwahl bei der Mietentscheidung abzubilden. Die indirekte Ermittlung von Präferenzen mittels der CBCA wird als vorteilhaft angesehen, weil fraglich ist, ob Probanden ihre Präferenzen eindeutig kommunizieren können (Green und Srinivasan [
Für die CBCA sind sechs Immobilienmerkmale als Produkteigenschaften ausgewählt worden, denen der mitunter größte Einfluss auf die Kauf- oder Mietentscheidung zugeschrieben wird (Brounen et al. [
Graph: Abb. 1Beispielhafte Auswahlsituation der CBCA
Aus den getroffenen Auswahlentscheidungen können Teilnutzen für die einzelnen Produkteigenschaften abgeleitet werden, um wiederum Rückschlüsse auf deren relative Wichtigkeit bei einer Mietentscheidung zu ziehen. Die Analyse erfolgt anhand einer Hierarchical-Bayes-Schätzung mittels Sawtooth Software. Die Methode ermöglicht es, die Nutzenfunktion der Probanden auf einem individuellen Level auf der Basis weniger Auswahlentscheidungen zu schätzen, was sowohl die Validität als auch die Vorhersagequalität der Daten verbessert (Orme [
Nach Abschluss der CBCA sind die Teilnehmer zudem direkt zum Energieausweis befragt worden, um dessen Informationswert sowie Nützlichkeit bestimmen zu können. Hierzu mussten die teilnehmenden Personen Bewertungen auf einer 5‑stufigen Skala von „stimme überhaupt nicht zu" (=1) bis „stimme voll zu" (=5) vornehmen.
Preiseffekte für die im Energieausweis ausgewiesenen Effizienzklassen werden implizit anhand einer hedonischen Preisregression nach Rosen ([
Für die Analyse werden Daten von ImmobilienScout24, dem führenden Onlineportal für Immobilienanzeigen in Deutschland, genutzt, die sowohl den Angebotsmietpreis[
Im Anschluss gilt es zu analysieren, ob die Preiseffekte von der Immobilienmarktsituation und der Einführung der verbindlichen Vorlagepflicht abhängen. Die Aufteilung in die drei Marktsegmente „angespannt", „normal" und „entspannt" erfolgt auf der Ebene der Postleitzahlgebiete und basiert auf der durchschnittlichen, jährlichen Mietpreisänderung in dem Jahr des Immobilieninserates. Als entspannt gelten dabei Werte unterhalb des dritten Dezils, als angespannt Werte oberhalb des siebten Dezils und als normal die Werte im Zwischenbereich. Ein Interaktionseffekt aus Energieeffizienzklasse und Zeiteffekt (die Immobilie wurde vor bzw. nach Mai 2015 angeboten) bildet die Veränderungen der Preiseffekte durch die Vorlagepflicht ab.
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Analysen im Hinblick auf die vier Forschungsfragen vorgestellt und diskutiert.
Aus den Experteninterviews resultieren die folgenden drei zentralen Ergebnisse:
- Soll der Energieausweis als wirksames Instrument zur Verbesserung der Energieeffizienz des Gebäudebestands beitragen, ist es von essenzieller Bedeutung, dass die potenziellen Mieter und Käufer dessen Inhalte verstehen. Unter den befragten Experten besteht jedoch die übereinstimmende Meinung, dass der Energieausweis nicht verständlich gestaltet ist. Dabei wird vor allem das fehlende Wissen über die Bedeutung der Begrifflichkeiten und Kennwerte sowie über die Vorlagepflicht kritisiert.
- Das mangelnde Verständnis ist zum Teil auf die defizitäre Umsetzung des Energieausweises zurückzuführen. Als problematisch anzusehen ist das duale System des Bedarfs- und Verbrauchsausweises, das die Vergleichbarkeit der enthaltenen Informationen erschwert. Den Energieausweis zu vereinheitlichen und die Nutzer stärker zu sensibilisieren, könnte zu einer Verbesserung des Verständnisses beitragen. Auch die Einführung eines zusätzlichen Kennwertes, um die Heizkosten konkret abschätzen zu können, wird überwiegend als sinnvoll bewertet, wenngleich eine Umsetzung laut Experten in der Praxis Schwierigkeiten mit sich bringen würde. Problematisch sind beispielsweise der Einfluss des Nutzerverhaltens sowie des dualen Systems des Ausweises, die sich auf den monetären Heizkostenkennwert auswirken könnten. Ein weiterer Kritikpunkt besteht in der mangelnden Kontrolle der Vorzeigepflicht, obwohl ein nicht vorhandener Energieausweis eine Ordnungswidrigkeit darstellt und mit einem Bußgeld belegt werden kann.
- Die erhöhte Zahlungsbereitschaft eines Mieters oder Käufers für eine energieeffiziente Immobilie kann generell aus unterschiedlichen Motiven resultieren – z. B. aus ökologischen Gründen oder zwecks einer verbesserten Wohnqualität. Unter den Experten besteht jedoch Einigkeit darüber, dass für die überwiegende Mehrheit der Marktteilnehmer wirtschaftliche Beweggründe im Vordergrund stehen. Dementsprechend müssen Kosten und Einsparungen aus einer erhöhten Energieeffizienz in einem angemessenen Verhältnis stehen. Den befragten Experten zufolge ist dies jedoch selten der Fall, da die hohen Bau- und Modernisierungskosten oftmals nur zu geringen Einsparungen führen.
Im Rahmen der Experteninterviews wurde deutlich, dass der Energieausweis weiterhin kritisch gesehen wird. Auch mit der Novelle der EnEV im Jahr 2014 kann den bestehenden Defiziten bislang nicht hinreichend entgegengewirkt werden. Die Rolle als Entscheidungskriterium wird generell als vergleichsweise gering eingeschätzt. Vor dem Hintergrund steigender Energiekosten besteht jedoch die Vermutung, dass der Energieausweis zumindest aus Mietersicht in Zukunft an Gewicht gewinnen wird. Dies liegt darin begründet, dass Rückschlüsse auf die späteren Nebenkosten möglich sind und Mietern i. d. R. ein Gesamtbudget zur Verfügung steht, das sämtliche Kosten – Kaltmiete, Neben- und Heizkosten – decken muss. Aus Expertensicht sollte der Energieausweis angepasst und verbessert werden, um beispielsweise eine stärkere Verknüpfung mit den resultierenden Kosteneinsparungen zur Verfügung zu stellen.
Die Online-Studie zur Bedeutung der Energieeffizienz bei Mietentscheidungen wurde im Mai 2017 auf Basis eines Probandenpools der RWTH Aachen University durchgeführt. Insgesamt haben 102 Personen an der Umfrage teilgenommen. Dabei handelt es sich um je 51 Männer und Frauen mit einem Durchschnittsalter von 30 Jahren. Die relativ junge Altersstruktur steht damit in Verbindung, dass sich junge Menschen besonders häufig in einer Mietsituation befinden.
Die Teilnutzen der jeweiligen Merkmalsausprägungen und die Wichtigkeit der entsprechenden Eigenschaft zur Nutzenbeurteilung der Immobilie sind Tab. 1 zu entnehmen. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt interpretieren: Der jeweils „schlechtesten" Ausprägung der Eigenschaften – z. B. hoher Preis, schlechte Lage etc. – wird durchgehend der geringste Teilnutzen beigemessen. Die aus den Teilnutzen bestimmten relativen Wichtigkeiten machen deutlich, dass sich zwei Gruppen unterscheiden lassen: zum einen Merkmale mit jeweils ca. 25 % relativer Wichtigkeit, zum anderen Merkmale mit jeweils unter 10 %. Wie zu erwarten war, wird der Kaltmiete und der Wohnlage ein hoher Einfluss beigemessen. Überraschend ist hingegen, dass auch dem Energieausweis bzw. der Energieeffizienzklasse eine relative Wichtigkeit von 25 % zugewiesen wird.
Teilnutzen und relative Wichtigkeiten der Immobilienmerkmale (N = 102)
Eigenschaft Ausprägung Teilnutzen Relative Wichtigkeit (in %) Kaltmiete [€/m2] 9,40 −84,4 26,9 7,70 13,5 5,60 71,0 Wohnflächea [m2] 57 −21,5 9,6 68 12,4 80 9,2 Zimmeranzahl 2 −10,1 5,2 2,5 −1,0 3 11,1 Zustand (Baujahr/letzte Sanierung/Modernisierung) Vor 2000 −18,6 7,3 2000–2010 2,6 Nach 2010 16,0 Energieverbrauch (kWh/(m2*a); Energieeffizienzklasse) 210 (G) −79,5 25,0 145 (E) 15,4 67 (B) 64,2 Wohnlage Einfach −84,38 26,0 Mittel 15,1 Gut 69,3
In Tab. 2 sind die Ergebnisse der direkten Befragung der Teilnehmer dargestellt. Diese beinhalten sowohl die Einstellung zum Energieausweis als auch die Beurteilung der Energieeffizienz im Allgemeinen. Auffällig ist, dass sowohl die Energieeffizienzklasse als auch ein zusätzlicher Kennwert zur Abschätzung der Heizkosten, der zurzeit noch nicht enthalten ist, als sinnvoll erachtet werden. Demzufolge ist es auch aus Sicht der Befragten wichtig, dass die Informationen leicht verständlich und nachvollziehbar sind, damit eine Beurteilung auf Grundlage einiger weniger Werte möglich ist. Ebenso sollte ein zusätzlicher Kennwert für die Heizkosten verstärkt diskutiert werden, da die Kernkompetenz des Energieausweises im Bereich der Kosten zu sehen ist. Der Energieeffizienz wird dementsprechend die höchste Bedeutung im Hinblick auf die Nebenkosten für Heizung und Warmwasser zugeordnet. Rund 58 % der Teilnehmer stimmten der Aussage voll zu (=5), dass die Energieeffizienz einer Wohnimmobilie aufgrund der Nebenkosten wichtig ist. Hinsichtlich des Umweltschutzes gaben mit 24 % deutlich weniger Probanden ihre volle Zustimmung an.
Beurteilung des Energieausweises sowie der Bedeutung der Energieeffizienz
Mittelwert StA Energiekennwert (kWh/(m2*a)) 3,4 1,09 97 Energieeffizienzklasse [A+ bis H] 4,0 1,08 99 Zusätzlicher Kennwert zur Abschätzung der Heizkosten 4,0 0,98 96 Nebenkosten (Heizung und Warmwasser) 4,3 1,08 100 Wohnqualität 3,4 0,92 97 Umweltschutz 3,4 1,29 101
Die Erhebung erfolgte auf einer Skala von 1 „stimme überhaupt nicht zu" bis 5 „stimme voll zu" StA Standardabweichung, N Anzahl der Beobachtungen
Die Energieeffizienz einer Immobilie findet im Rahmen der analysierten hypothetischen Auswahlentscheidungen eine stärkere Berücksichtigung, als sich anhand der bisherigen Forschungsarbeiten sowie der Experteninterviews vermuten ließ. Mit einer relativen Wichtigkeit von 25 % gehört das Kriterium des Energieverbrauchs zu der Gruppe der wichtigen Merkmale, die die Auswahl entscheidend beeinflussen. Die bisherige Unterschätzung des Einflusses des Energieausweises könnte auf die zurzeit in den meisten Studien vorherrschende isolierte und direkte Beurteilung von Immobilieneigenschaften zurückzuführen sein. Durch die Choice-Based Conjoint-Analyse kann hingegen die unterbewusste Berücksichtigung deutlich gemacht werden, die zum Ausdruck kommt, wenn verschiedene Merkmale gegeneinander abgewogen werden. Somit beeinflusst der Energieausweis nachweislich das Verhalten in hypothetischen Auswahlsituationen. Dabei bietet das Instrument nicht nur Informationen über den energetischen Zustand einer Immobilie, sondern wird der Befragung der Teilnehmer zufolge auch in einem direkten Zusammenhang mit den Nebenkosten einer Wohnung gesehen.
Die deskriptive Auswertung des Mietwohnungsdatensatzes in NRW zeigt, dass über den gesamten Zeitraum der bevorzugte Energieausweistyp mit 72 % der Verbrauchsausweis ist; dieser weist auch geringere Ausstellungskosten auf. Die Quote fiel jedoch seit dem Jahr 2011 mit 82 % kontinuierlich auf 68 % im Jahr 2016. Abb. 2 zufolge sind Immobilien im hocheffizienten Bereich (Effizienzklasse A
Graph: Abb. 2Verteilung der Energieeffizienzklassen
In Abb. 3 sind die Ergebnisse der hedonischen Preisregression dargestellt. Für energetisch effiziente (A
Graph: Abb. 3Generelle Auswirkung der Energieeffizienzklasse auf den Mietpreis von Wohnungen in NRW. Die fett dargestellten Werte weisen eine statistische Signifikanz auf dem 0,1 %-Niveau auf
Zudem werden die ermittelten Preisdifferenzen den durchschnittlich eingesparten Energiekosten je Effizienzklasse gegenübergestellt (vgl. Tab. 3). Die Energiekosten berechnen sich aus Preisdaten von Verivox unter Berücksichtigung der Merkmale aus dem ursprünglichen Datensatz – z. B. Art der Wärmeerzeugung und Energieverbrauch. Die Werte sind auf Grundlage der getroffenen Annahmen zu interpretieren und sollen lediglich eine Tendenz vorgeben.[
Gegenüberstellung des jährlichen Mietpreiseffekts und der jährlich eingesparten Energiekosten
Energieeffizienzklasse Durchschnittlicher Preiseffekt pro Jahr [€] (durchschnittlicher Mietpreis: 5984 €/a) Eingesparte Energiekosten pro Jahr [€] Saldo [€] A+ −389 +469 +80 A −425 +273 −152 B −233 +204 −29 C −90 +109 +19 D E +36 −128 −92 F +60 −287 −227 G +78 −487 −410 H +132 −888 −757
Die positiven Preiseffekte für einen Energieausweis im Bereich A
Die Ergebnisse der Analyse unter Einbezug der Angebots‑/Nachfragesituation auf dem Immobilienmarkt sind Tab. 4 zu entnehmen. Die Mietpreiseffekte sind meistens auf dem 0,1 %-Niveau statistisch signifikant. In angespannten Wohnungsmärkten fallen die Preiseffekte für überdurchschnittliche Effizienzklassen (A
Mietpreiseffekt für Energieeffizienzklassen in Abhängigkeit der Wohnungsmarktsituation
Energieeffizienzklasse Entspannter Wohnungsmarkt (in %) Normaler Wohnungsmarkt (in %) Angespannter Wohnungsmarkt (in %) A+ 6,4 *** 6,1 *** 6,6 *** A 8,3 *** 6,7 *** 6,5 *** B 3,6 *** 3,1 *** 4,9 *** C 1,5 *** 0,9 *** 2,1 *** D E −0,1 −1,1 *** −0,5 *** F −0,4 ** −1,4 *** −1,2 *** G −1,0 *** −1,9 *** −1,0 *** H −1,8 *** −2,8 *** −2,0 ***
Für die statistische Signifikanz gelten folgende Werte: * p-Wert <5 %, ** p-Wert <1 %, *** p-Wert <0,1 %
Die Einführung der Vorlagepflicht führt zu einer leichten Intensivierung der Preiseffekte (vgl. Abb. 4). Der Veränderungseffekt nach Mai 2015 ist für die Effizienzklassen A
Graph: Abb. 4Veränderung des Mietpreiseffektes des Energieausweises nach Einführung der Vorlagepflicht. Die fett dargestellten Werte weisen eine statistische Signifikanz auf dem 0,1 %-Niveau auf
Sowohl die Immobilienmarktsituation als auch die Einführung der verbindlichen Vorlagepflicht wirken sich auf den Preiseffekt aus. In angespannten Märkten weisen Mieten eine durchschnittlich höhere Sensitivität für die Energieeffizienz auf. Die Intensivierung der Preiseffekte lässt zudem auf eine höhere Markttransparenz durch die Vorlagepflicht schließen, was darauf hindeutet, dass die Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen den Energieausweis und dessen Wahrnehmung gestärkt hat.
Der Energieausweis wurde eingeführt, um eine erhöhte Markttransparenz zu schaffen sowie ineffizienten Entscheidungen auf dem Immobilienmarkt vorzubeugen. Bei der Umsetzung energiepolitischer Klimaschutzziele ist zudem von Bedeutung, dass eine erhöhte Zahlungsbereitschaft für Energieeffizienz Anreize für energetische Sanierungen und Modernisierungen setzen kann. Das Bewusstsein für Energieeffizienz wird dabei maßgeblich durch den Energieausweis als leicht verfügbares Informationsinstrument geschaffen.
Der Energieausweis wird von den befragten Experten auch nach Einführung der Vorlagepflicht weiterhin kritisch gesehen. Gründe hierfür liegen den Experten zufolge im mangelnden Verständnis seitens der potenziellen Mieter und Käufer, in der defizitären Umsetzung sowie der fragwürdigen Wirtschaftlichkeit einer Investition in energieeffiziente Immobilien. Die Ergebnisse der CBCA belegen jedoch, dass dem Energiekennwert und der Energieeffizienzklasse eine vergleichsweise hohe relative Wichtigkeit bei Mietimmobilien beigemessen wird, wenn die Präferenzen implizit abgefragt werden. Diese experimentelle Analyse zeigt dementsprechend, dass der Einfluss des Informationsinstruments in hypothetischen Auswahlsituationen größer ist, als die Experten vermuten. Mit den wachsenden energetischen Anforderungen an Immobilien durch die EnEV, dem zunehmenden Umweltbewusstsein sowie den steigenden Energiepreisen sind zudem grundsätzlich geeignete Voraussetzungen vorhanden, um den Energieausweis in seiner Bedeutung zu stärken. Zusätzlich sollte der Energieausweis weiterentwickelt und die Marktteilnehmer für seinen Informationswert sensibilisiert werden.
Den Ergebnissen der CBCA entsprechend verdeutlicht das hedonische Preismodell, dass Mieter im realen Immobilienmarkt bereit sind, einen Preisaufschlag für energieeffiziente Wohnungen zu zahlen. Dieser Preiseffekt variiert basierend auf der Immobilienmarktsituation, sodass z. B. in Wohnungsmärkten mit einem Nachfrageüberhang ein höherer Preisaufschlag gezahlt wird. Die Motivation für die Berücksichtigung des energetischen Zustands ist jedoch vielfältig und reicht über den finanziellen Anreiz der Energiekosteneinsparung hinaus. Die Ursachen des nachgewiesenen Preiseffektes bedürfen daher einer weiterführenden Analyse. Gleichzeitig lassen sich die Ergebnisse auf wenig effiziente Wohnungen nur bedingt spiegeln. Da die Preisabschläge für diese Wohnungen gering und über die Effizienzklassen ähnlich sind, scheinen Mieter gegenüber der genauen Ausprägung der Effizienzklasse im niedrigeffizienten Bereich nahezu indifferent zu sein. Regulatorische Anpassungen wie die verbindliche Vorlagepflicht können den Energieausweis in seiner Rolle hingegen stärken, insbesondere, wenn über dieses Recht ausreichend informiert und der Ausweis den Interessenten tatsächlich zugänglich gemacht werden muss.
Trotzdem bestehen weiterhin Hemmnisse, die dazu führen, dass der Energieausweis noch nicht seine volle Wirkung zur Erhöhung der Immobilienmarkttransparenz entfalten kann. Ein Grund besteht in Ausnahmeregelungen für die verbindliche Vorlagepflicht, sodass beispielsweise 24 % der Immobilien auch für das Jahr 2016 weiterhin keine Daten zum Energieausweis aufweisen; auch wenn dieser Wert seit der Vorlagepflicht erheblich sank, so betrug er noch im Jahr 2013 89 %. Darüber hinaus könnten Mieter in angespannten Wohnungsmärkten eine Benachteiligung gegenüber Mitbewerbern durch die Einforderung des Energieausweises beim Vermietungsprozess vermuten und daher darauf verzichten. Dies wird dadurch begünstigt, dass ein Verstoß gegen die Vorlagepflicht zwar eine Ordnungswidrigkeit darstellt und mit einer Geldstrafe belegt ist, die Ausweispflicht aber kaum nachgehalten und kontrolliert wird.
Möglichkeiten für die politischen Akteure diesen Hemmnissen entgegenzuwirken setzen sich aus zwei Komponenten zusammen: zum einen die Anpassung des Energieausweises sowie der regulatorischen Rahmenbedingungen, zum anderen eine verstärkte Sensibilisierung der Marktteilnehmer. Zunächst sollte eine Vereinheitlichung des Energieausweises angestrebt werden. Das duale System aus Bedarfs- und Verbrauchsausweis sorgt bislang für eine mangelhafte Vergleichbarkeit der Energieeffizienzkennwerte. Des Weiteren sprechen sich sowohl Experten als auch Immobiliennutzer für die Einführung eines Heizkostenkennwertes aus, der unmittelbar über Kosteneinsparungen aufklärt. Stichprobenartige Kontrollen und die Sanktionierung von Falschangaben stellen weitere Maßnahmen dar. Da jedoch die Zuständigkeiten nicht eindeutig geregelt sind, müssten die rechtlichen Vorgaben erweitert oder konkretisiert werden. Essenziell ist darüber hinaus die Kommunikation des Informationswertes. Ziel beim Umgang mit dem Energieausweis könnte sein, den selbstverständlichen Stellenwert als Entscheidungskriterium zu erreichen, der sich bereits bei der Nutzung des Energielabels von Elektrogeräten eingestellt hat. Dies würde den Energieausweis in seiner Bedeutung für die Erreichung der Klimaschutzziele der Bundesregierung insbesondere auf dem Weg zu einem klimaneutralen Gebäudesektor bis zum Jahr 2050 stärken.
Dieses Forschungsprojekt wurde durch das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung (MIWF) des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Kompetenzzentrums Verbraucherforschung NRW (KVF NRW) gefördert. Das KVF NRW ist ein Kooperationsprojekt des MIWF mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e. V. und dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV) des Landes Nordrhein-Westfalen.
Für die Daten- und Softwarebereitstellung bedanken wir uns bei der Immobilien Scout GmbH, GfK Geomarketing GmbH, Verivox GmbH, Sawtooth Software Inc. und ESRI Deutschland GmbH.
By Bertram I. Steininger; Claudia Nadler; Melanie Franke and Carolin Pommeranz
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