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Die Zeit der Einbildungskraft - Die Rolle des Schematismus in Kants Erkenntnistheorie.

Schäfer, Rainer
In: Kant-Studien, Jg. 110 (2019-09-01), Heft 3, S. 437-462
Online academicJournal

Die Zeit der Einbildungskraft - Die Rolle des Schematismus in Kants Erkenntnistheorie 

In this paper, I focus on Kant's doctrine of figurative synthesis. Figurative synthesis is the result of the activity of productive transcendental imagination. This is the chief problem of the so-called "second proof step" in Kant's deduction of the categories according to the second edition of the Critique of Pure Reason. The pure original synthetic apperception forms in the inner and outer sense - i. e. in time and space - by self-affection structures of order that make it possible to cognize empirical objects. The order of space and time through figurative syntheses (formal intuitions) must be distinguished on the one hand from space and time as forms of intuition and on the other hand from the order of the manifold given in space and time (intuition of particular contents). This clarifies the differences and relations between the constitutive noetic faculties of our knowledge apparatus.

Keywords: figurative synthesis; transcendental imagination; self-affection

„die Zeit ist Bestimmung meines Daseyns".

(Kant, Reflexion Nr. 5655, in: AA 18, S. 315.)

Einleitung

Der Schematismus der Einbildungskraft ist gemäß der Lehre der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft einerseits in den so genannten zweiten Beweisschritt der Deduktion der Kategorien integriert. Zum zweiten Mal tritt der Schematismus der Einbildungskraft dann im ersten Hauptstück der „Analytik der Grundsätze" in Erscheinung, also in dem Abschnitt, der sich der Kategoriendeduktion unmittelbar anschließt. Kant versucht mit dem Schematismus der Einbildungskraft im Rahmen der Deduktion zu erklären, wie in Zeit und Raum als Anschauungsformen Ordnung und Struktur hineinkommt, so dass es einerseits möglich wird, Zeit und Raum selbst als einheitliche Gebilde vorstellen zu können und andererseits mit diesen Raum-Zeit-Ordnungen erklärlich wird, wie wir unser Wahrnehmungsmannigfaltiges gemäß den Kategorien bestimmen können. Der Schematismus, wie er dann im ersten Hauptstück der „Analytik der Grundsätze" auftritt, hat dagegen die spezifischere Aufgabe zwischen den Kategorien und Erscheinungen zu vermitteln. Die Erscheinungen haben einen anschaulich sinnlichen Inhalt, der von den Kategorien und diskursiven Begriffen überhaupt, also empirischen und reinen Begriffen, völlig unterschieden ist. Der sinnlich anschauliche Inhalt der Erscheinungen ist intuitiv, individuell, konkret; Begriffe, Urteile und Gedanken sind dagegen immer diskursiv und allgemein. Daher ist mit dem Schematismuskapitel eine Grundlage für das eigentliche System der Grundsätze voranzuschicken, das die in den Erscheinungen enthaltenen sinnlichen Anschauungen trotz ihrer Andersartigkeit gegenüber allem Begrifflich-Gedanklichen als begriffsmäßig bestimmbar ausweist. Daher geht es hier um eine Vermittlung zwischen Begriff und Anschauung, die auf Erscheinungen und inhaltlich erfüllte Anschauungen rekurrieren. Diese Vermittlung ist ein Problem der Anwendung von Begriffen/Kategorien auf Anschauungen, das Kant nach dem Modell einer Subsumtion begreift, Anwendung von Kategorien auf das Mannigfaltige der Erscheinungen manifestiert sich eben darin, dass verschiedene Erscheinungen und sinnliche Dinge unter Begriffe subsumiert werden (vgl. KrV, A 137 f./B 176 f.).

Der Schematismus innerhalb der Deduktion der Kategorien hat jedoch eine etwas andere Funktion: Dort geht es zunächst um die Vermittlung zwischen den Anschauungsformen und den Kategorien, also noch nicht darum, inhaltlich erfüllte Anschauungen mit Begriffen zu vermitteln bzw. unter diese zu subsumieren, sondern die Anschauungsformen (Raum und Zeit) selbst sind vorgängig mit unserem apriorischen Begriffsapparat, d. h. den Kategorien zu vermitteln, damit jene Anwendung und Subsumtion gelingen kann. Ist die Vermittlung von reinen Begriffen, Kategorien mit den Anschauungsformen geleistet, kann auch die zweite Aufgabe, Anschauungsinhalte, Erscheinungen mit reinen Begriffen, Kategorien zu vermitteln angegangen werden. Nach dieser Interpretation haben also der Schematismus in der Deduktion und der Schematismus in der Analytik der Grundsätze eine etwas unterschiedliche Funktion. Es ist wohl wahr, dass Kant selbst nicht immer klar zwischen beiden Aufgaben trennt und es ist auch wahr, dass beide Aufgaben Berührungspunkte und notwendige Überschneidungen haben, doch generell gilt, dass es beim Schematismus in der Deduktion darum geht, dass die reinen Formen der Anschauung (Raum und Zeit) selbst begriffliche Ordnungsstrukturen aufweisen, wenn sie zu Bewusstsein kommen können sollen, hier geht es also um die formale Ordnung der Anschauungsformen selbst und im Schematismus in der Analytik der Grundsätze geht es um Erscheinungen als Anschauungsinhalte, die begrifflichen Ordnungsstrukturen gegenüber offen stehen.

Daher thematisiert Kant im Rahmen des Schematismus der Deduktion der zweiten Auflage der Kritik formale Anschauungen, figürliche Synthesen, Synthesis speciosa, die Hervorbringung von Sukzession, transzendental produktive Einbildungskraft und Selbstaffektion, dies betrifft die Herstellung von Ordnung von Raum und Zeit selbst. Z. B. zeigt dies bei der Zeit, dass sie die Bestimmungen der Sukzession, Simultaneität und Beharrlichkeit hat. Dagegen geht es um die Ordnung von Innerzeitigem und im Raum befindlichem Anschauungsmannigfaltigen im Schematismus der Grundsätze. Z. B. zeigt dies, dass Innerzeitiges sukzessiv, gleichzeitig oder beharrlich erscheint. Das eine Mal geht es um die Ordnung der Zeit selbst (also z. B. dass die Zeit beharrlich ist, und sie nicht vergeht, im Sinne von verschwindet, denn dann müsste man sich die Zeit als endliche Größe vorstellen, was den Widerspruch bedeutet, sich eine Zeit/Periode ohne Zeit, d. h. vor oder nach der Zeit vorzustellen; was bezüglich der Zeit also beharrlich ist, das ist die Zeit als Form des inneren Sinnes), das andere Mal geht es um die Ordnung von Innerzeitigem (also z. B. um „die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit" (KrV, A 144/B 183; Hervorhebung R.S.), d. h. um das Schema der Substanz).

Hierbei ist eine Bedeutungsunterscheidung von Mannigfaltigkeit zu beachten: Wenn man von der Ordnung von Raum und Zeit selbst spricht, wird die reine Mannigfaltigkeit (reine Sinnlichkeit) von Raumteilen und Zeitteilen selbst gemeint, die Raummannigfaltigkeit und die Zeitmannigfaltigkeit; spricht man dagegen von der Ordnung eines Mannigfaltigen im Raum und in der Zeit, also dem Innerräumlichen und dem Innerzeitigen, dann sind sinnliche Empfindungsdaten mit dem Mannigfaltigen gemeint, die sich uns in Wahrnehmungen, Empfindungen, Sinnesdaten und Gefühlen zeigen, also eine Mannigfaltigkeit in Raum und Zeit ist von einer Mannigfaltigkeit von Raum- und Zeitteilen zu unterscheiden. Macht man diesen Unterschied nicht, verwischt die Differenz von formalen und inhaltlichen Bestimmungen der Anschauung. Die Überschneidung beider Aufgaben des Schematismus ergibt sich natürlich daraus, dass es Kant letztlich darum geht, die Restriktion der Kategorien auf sinnlich gegebene Inhalte des Anschauungsmannigfaltigen zu zeigen und dabei bildet der Beweis, dass die formale Anschauung, also die synthetische Ordnung von Raum und Zeit selbst, nur einen Zwischenschritt, dieser Beweis markiert eine notwendige Bedingung dafür, dass letztlich die Inhalte unserer Anschauungen der Bereich sind, in dem Kategorien Sinn und Bedeutung haben können. Wenngleich bei Kant also zu Recht beide Aufgaben in ihrer Verzahnung eng geführt werden, plädiere ich dennoch dafür, beides in der methodischen Beweisführung auseinander zu halten, da man sonst Gefahr läuft, Formales und Inhaltliches sowie Noetisches und Noematisches miteinander zu verwirren. Die Thematik der schematischen Hervorbringung der Ordnung von Raum und Zeit selbst durch transzendentale Zeit- und Raumschemata gehört zu dem Bereich des Noetischen, also der Art und Weise, wie wir die Form der Anschauung selbst bewusst machen können, z. B. indem wir uns selbst affizieren, wohingegen die Thematik der Ordnung des Innerzeitigen und des Innerräumlichen, also dessen was in Raum und Zeit als Mannigfaltiges erscheint, zum Noematischen, also zum Inhalt unseres Erkennens gehört. Durch eine klarere Trennung beider Aufgaben kann man vermeiden, dass man z. B. - wie es durchaus in Heideggers Deutung von Kants Schematismus geschehen ist - die Zeit selbst als eine beharrliche Substanz deutet und die Schemata der Kategorien, die in ihrer Anwendung auf Anschauungsinhalte sinnvoll sind, den Anschauungsformen selbst zuschreibt. Eine solche Applikation macht fälschlicherweise die Anschauungsformen quasi zu Dingen, dies hypostasiert die Zeit zu einer beharrlichen Substanz, welches die Zeit aber nicht ist, da sie rein formal ist, eine bloße Ordnungsstruktur bildet, die auch nicht wahrgenommen werden kann, also prinzipiell kein Wahrnehmungsgegenstand sein kann, denn der reinen Zeit fehlt aller Inhalt, wie das aber bei Dingen, die als ein beharrliches Reales in der Zeit als Substanzen erscheinen, durchaus der Fall ist. Mit der hier vorgeschlagenen Unterscheidung lässt sich also z. B. Zeit und Innerzeitiges klarer auseinanderhalten. Das widerspricht selbstredend nicht Kants Intention, sondern präzisiert sie höchstens.

Die Herstellung von Ordnung in den Formen der Anschauung (Raum und Zeit bzw. äußerer und innerer Sinn aus der transzendentalen Ästhetik) vermittels anschaulicher Schemata des Raumes selbst (z. B. außer-, neben- oder ineinandersein) und der Zeit selbst (z. B. nacheinander, gleichzeitig, beharrlich) ist bekanntlich eine Produktion der transzendentalen Einbildungskraft mittels figürlicher Synthesen bzw. formaler Anschauungen (vgl. KrV, B 151). Diese formalen Anschauungen ordnen die Formen der Anschauung, und dadurch wird es überhaupt erst möglich, dass uns Mannigfaltiges in Wahrnehmungen, Empfindungen, Sinnesdaten und Gefühlen gegeben werden kann und Erfahrungserkenntnis möglich wird. Daher gehört die Lehre von der figürlichen Synthesis und der transzendentalen produktiven Einbildungskraft wesentlich zur Transzendentalphilosophie, denn sie stellt eine Bedingung der Möglichkeit von Erfahrungserkenntnis dar.

1 Kritiken und Verteidigungen

Indem Kant die Schemata einführt, ändert er nicht seine Lehre von Raum und Zeit aus der transzendentalen Ästhetik, wie Beatrice Longuenesse meint; vielmehr präzisiert er nur, dass wenn man Raum und Zeit als Formen der Anschauung selbst zu Vorstellungsinhalten macht, dann kann man dies nur, wenn man sie als synthetische Einheiten vorstellt und diese Synthesis ist nichts, was schon in den reinen Formen der Anschauung selbst gelegen ist, dort sind eben nur Raummannigfaltigkeit und Zeitmannigfaltigkeit als solche gelegen und gegeben, sondern als synthetische Einheiten erfordern Raum und Zeit spezifische Leistungen der Verknüpfung. Solche konnte Kant aber in der transzendentalen Ästhetik noch nicht als Leistung der Einbildungskraft geltend machen, weil es dort nur um Raum und Zeit ging, sofern sie überhaupt Anschauungsformen sind, die dem Subjekt angehören, also um die Idealität von Raum und Zeit. - Die Synthesen der Einbildungskraft sind in der transzendentalen Ästhetik also zwar schon latent am Werk - z. B. wenn Raum und Zeit als kontinuierliche Größen vorgestellt werden oder wenn der Raum als mehrdimensional, die Zeit als eindimensional bestimmt werden -, doch da es hier um den Aspekt der Gegebenheit der Anschauungsformen, ihre reine Rezeptivität geht, können (und brauchen) sie nicht geltend gemacht werden.

Anschauung und Begriff sind zwar beides Elemente unserer Erfahrungserkenntnis, aber sie sind auch grundsätzlich verschiedenartig; Anschauungen sind intuitiv, Begriffe diskursiv, Anschauungen sind konkret, Begriffe abstrakt, Anschauungen sind rezeptiv-sinnlich, Begriffe gehen auf spontane intellektuelle Verknüpfungen zurück; aufgrund dieser Verschiedenartigkeit bedürfen Anschauungen und Begriffe der Vermittlung, und genau diese Vermittlung übernimmt das Schema, bzw. wie Kant es auch nennt, die formale Anschauung, Synthesis speciosa bzw. die figürliche Synthesis. Das Schema steht also in gewissem Sinne zwischen Anschauung und Begriff, vereint anschauliche und begriffliche Momente miteinander (vgl. KrV, A 138/B 177). Der Schematismus erklärt, dass und wie wir den kategorialen Begriffen im Wahrnehmungsmannigfaltigen trotz der epistemischen Heterogenität eine Referenz verschaffen können, wie es möglich ist, anschauliche Wahrnehmungen unter einen Begriff zu bringen.

Der Hauptkritikpunkt an Kants Schematismuslehre besagt, dass sie psychologistisch ist, d. h. objektive Zusammenhänge unserer Gegenstandserkenntnis aus psychologischen Vermögen heraus erklären möchte. Das wurde besonders prominent und die Debatte des Schematismus bis in unsere Zeit in der Analytischen Philosophie prägend seit Peter Strawsons Bounds of Sense kritisiert, er sprach vom „imaginary subject of the transcendental psychology". Jonathan Bennett und Robert Wolff kritisieren die Künstlichkeit und Überflüssigkeit sowohl des Problems als auch der Lösung Kants, denn entweder könnten die Wahrnehmungen unter Kategorien ohne die Hilfe der Schemata gebracht werden oder sie könnten halt gar nicht unter Kategorien gebracht werden. Terence E. Wilkerson bemerkt lapidar: „The Schematism serves no useful purpose and can be ignored without loss." Robert Pippin ist differenzierter, denn er hebt hervor, dass der Schematismus die Anwendbarkeit der Kategorien auf Wahrnehmungsmannigfaltiges betreffe, also wie wir Begriffe anwenden können und dabei müsse eine „psychological how-question" von einer „transcendental how-question" unterschieden werden, letztere wäre notwendigerweise im Rahmen einer Transzendentalphilosophie zu klären und eben das Thema des Schematismus. In dieser Richtung einer transzendentalen know how-Interpretation der Schemata argumentiert dann auch Daniel Dahlstrom.

Der Psychologismusvorwurf ist natürlich keine neuartige Kritik, schon der späte Hegel kritisiert Kants Rückfall in solche Erklärungsmuster und den „Sack voller Vermögen". In den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte äußert Hegel, schon die Terminologie Kants sei „barbarisch" und sein Psychologismus verfalle den üblichen Erklärungsmustern des Empirismus. Auch Schopenhauer kritisiert die Berufung auf eine psychologische Tatsache, der „anscheinende Tiefsinn und die Schwierigkeit der Darstellung" Kants dienten nur der Verschleierung einer „bloß willkürlichen Annahme". Wer allerdings in dem Glashaus sitzt, die ganze Welt als Wille und Vorstellung zu erklären, solle vielleicht mit dem Geschoss des Psychologismusvorwurfs etwas vorsichtiger um sich werfen.

Ich möchte in Verteidigung Kants herausarbeiten, dass einerseits die Psychologismuskritik problematisch und die Verteidigungsstrategie für den Schematismus als transzendentales know how unzureichend ist. Die Rückbesinnung auf Kants eigentliche Lehre zeigt, dass der Schematismus a) apriorisch notwendig ist, was gegen ein bloßes know how oder äußerliches Anwendungsproblem spricht und vielmehr dafür, dass jener zweite Schritt der Kategoriendeduktion nicht nur die Funktion hat zu zeigen, wie wir Kategorien auf Anschauungen anwenden, sondern er auch legitimiert, dass wir das mit einer transzendentalen Notwendigkeit tun müssen, er also tatsächlich wie Kant selbst sagt, den Abschluss und die Vollendung der Kategoriendeduktion in der B-Version bringt (vgl. KrV, B 145), denn erst dieser Schritt restringiert den objekterkennenden Gebrauch von Kategorien vollständig auf raum-zeitliche Erscheinungen unserer Sinnlichkeit. Es verhält sich nicht so, dass wir uns frei entscheiden könnten, ob wir eine Kategorie schematisieren. Ob wir z. B. die Kategorie der Kausalität in die Zeitordnung, dass die Ursache der Wirkung vorhergeht, verzeitlichen, ist keine Frage der freien Wahl, sondern eine transzendentale Notwendigkeit, ohne die für uns das gegebene Mannigfaltige der Wahrnehmung keine sinnvolle Bedeutung haben kann. Wenn wir die Kausalitätskategorie nicht ordnungsgemäß verzeitlichen und auf Wahrnehmungsmannigfaltiges anwenden, legen wir den Grundstein für ein dialektisches, d. h. eben fehlschließendes Denken. Und b) spricht gegen den Psychologismusvorwurf, dass sich Kant nicht auf den Schematismus der Einbildungskraft, wie Hegel und Schopenhauer sagen, in empiristischer Manier, als auf ein Faktum der Erfahrung und unserer anthropologischen Psyche beruft, sondern Kant die produktive Einbildungskraft mittels transzendentaler Argumente rekonstruiert und in ihrer Notwendigkeit als apriorischen Vermittler rechtfertigt. Die transzendentale Einbildungskraft kann eben gar nicht erfahren werden, da sie Voraussetzung der Erfahrung ist. Diese Art der Vermögenpsychologie ist deswegen kein üblicher Psychologismus. Als ein transzendentales Vermögen ist die Einbildungskraft eher in der Art einer mathematischen Funktion zu verstehen, die mit ihren Variablen Leerstellen offen lässt, in die konkrete Sinnesdaten eingesetzt werden müssen, die dann zu Gegenstandserkenntnis führen. Transzendentale Vermögen sind, was ja auch schon im Wort steckt, von der objektiven Möglichkeit her zu verstehen, die sie zu eröffnen vermögen. Klärend kann man sagen - wie z. B. Dieter Sturma -, es handelt sich um eine „philosophische Psychologie", die aber aufgrund ihrer Notwendigkeit und explanativen Kraft nicht von dem getroffen wird, was man sonst am Psychologismus gerechtfertigterweise kritisieren mag.

Kant hatte offenbar ein großes Problembewusstsein bezüglich des Psychologismus, das sich von der ersten zur zweiten Auflage der Kritik sogar gesteigert hat, denn wie z. B. gerade die Überarbeitungen und Neuerungen für die zweite Auflage zeigen, hat er dort einerseits mit der „Widerlegung des Idealismus" und andererseits mit der Neufassung des Paralogismus-Kapitels, also der Kritik an der rationalen Psychologie, unterschiedliche Typen von fehlgehendem Psychologismus differenziert und entscheidende Gegenargumente gegen Solipsismus und ein ontologisches Verständnis der Seele geliefert. Kants eigener „transzendentaler Psychologismus", wenn man ihn so nennen will, ist also keinesfalls naiv und ist auch nicht mit den üblichen Problemen des Psychologismus belastet, also dass aus ihm folgte, dass die individuelle Seele die objektive Welt, logische Geltungen etc. hervorbrächte. Zwar ist schon richtig, dass die transzendentale Vermögenslehre erklärt, wie wir in formaler Hinsicht Gegenständen Bedeutung geben können, doch ist das ein besonderes „Wie", denn es enthält neben dem „Mechanismus", der erklärt, wie die einzelnen Vermögen ineinandergreifen, zugleich die Legitimation dafür, dass wir das auch gerechtfertigterweise tun. In diesem „Wie" steckt also die Begründung für das „Dass".

Eine ganz ähnliche Stoßrichtung wie die hier vertretene Deutung einer Unterscheidung zwischen den schematisierten Kategorien, die auf Gegenstandserkenntnis ausgerichtet sind und der Schematisierung der Anschauungsformen Raum und Zeit selbst findet sich bereits in besonders luzider Weise - und soweit ich sehe zuerst - in der Deutung von Klaus Düsing. Düsing kritisiert an Kant allerdings auch, dass durch die Überarbeitung der Kategoriendeduktion von der ersten zur zweiten Auflage der Kritik, die natürlich auch die berühmte Veränderung der Rolle der Einbildungskraft mit sich bringt - sie ist nun nicht mehr wie in der ersten Auflage ein drittes, selbständiges Vermögen neben Sinnlichkeit und Verstand (vgl. KrV, A 94, und A 114), sondern gemäß der Lehre der zweiten Auflage ist die Einbildungskraft nur noch eine Funktion des Verstandes -, dass sich daraus auch Konsequenzen für das Schematismuskapitel aus der „Analytik der Grundsätze" hätten ergeben müssen, da Kant dieses jedoch nicht wie die Deduktion überarbeitet habe, ergäben sich Probleme, denn im Schematismuskapitel stehe nach wie vor die Lehre von der Selbständigkeit der Einbildungskraft und der drei Grundquellen der Erkenntnis im Hintergrund. Die Funktion und Sinnhaftigkeit des Schematismuskapitels sei daran gebunden, dass es drei Erkenntnisquellen gebe, das betreffe insbesondere die dortige Bestimmung des Schemas als eines „Dritten", das homogen ist zu beiden anderen, an sich heterogenen Erkenntnisquellen Anschauung und Begriff. Ein weiteres Problem sei z. B., dass in der A-Version von Kants Deduktion unklar bleibe, wie er bereits in der Apprehension eine Synthesis annehmen könne.

Nach der Kategoriendeduktion der ersten Auflage unterscheidet Kant bekanntlich analog zu den drei Vermögen Sinnlichkeit, Einbildungskraft und Verstand drei Typen von Synthesen, die Synthesis der Apprehension in der Anschauung, die Synthesis der Reproduktion in der Einbildungskraft und die Synthesis der Rekognition im Begriff/Verstand. Jene drei Synthesetypen sind jeweils apriorisch oder aposteriorisch möglich, und es geht Kant bei der Kategoriendeduktion nach der Version der ersten Auflage der Kritik natürlich darum zu beweisen, dass die jeweils apriorischen Synthesetypen gemeinsam Gegenstandskonstitutiv sind und die beiden ersten Synthesetypen letztlich auf der letzten Syntheseform, der des Begriffs/Verstandes beruhen. Doch Kant führt auch schon in der ersten Auflage der Kritik aus, dass es mit Rezeptivität und Spontaneität nur „zwei Grundquellen des Gemüths" (KrV, A 50) gibt. Daher kann man Kant vor der Kritik Düsings durchaus in Schutz nehmen, denn letztlich basieren die Synthesis der Apprehension und die Synthesis der Reproduktion auf der Synthesis der Rekognition; das ist zumindest dann der Fall, wenn die Apprehensions- und die Reproduktionssynthesen zu Bestandteilen von objektiver Erkenntnis werden, denn dann stellt sich heraus, dass der Verstand diejenige Regelhaftigkeit spontan vollzieht/hervorbringt, die auch schon den Synthesen der Apprehension und der Reproduktion Einheit verleiht. Auch in der ersten Auflage der Kritik ermöglicht also die Apperzeption die vorgängigen Synthesen der Apprehension und der Reproduktion hinsichtlich ihrer Regelhaftigkeit:

Die Möglichkeit aber, ja sogar die Nothwendigkeit dieser Kategorien beruht auf der Beziehung, welche die gesamte Sinnlichkeit, und mit ihr auch alle möglichen Erscheinungen, auf die ursprüngliche Apperception haben, in welcher alles nothwendig den Bedingungen der durchgängigen Einheit des Selbstbewußtseins gemäß sein, d. i. unter allgemeinen Funktionen der Synthesis stehen muß, nämlich der Synthesis nach Begriffen, als worin die Apperception allein ihre durchgängige und nothwendige Identität a priori beweisen kann. (KrV, A 111 f.; vgl. auch A 107 ff. sowie A 116 f.)

Das ist genauso wie in der Version der Kategoriendeduktion der zweiten Auflage, wo ebenfalls letztlich alle Synthesen auf die synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption zurückgehen. Der Grundgedanke Kants ist offenbar, dass Synthesen, da sie spontane Verbindungen sind, immer ein Verknüpfung herstellendes Subjekt/Apperzeption erfordern und daher bereits die Synthesis der Apprehension und der Reproduktion nur unter der Voraussetzung einer Synthesis der Apperzeption zu Bestandteilen einer Erkenntnis werden können.

Dass Kant in der ersten Auflage von drei Erkenntnisquellen spricht, steht dabei nur scheinbar in Kontrast dazu, dass er ebenfalls in der ersten Auflage auch davon spricht, dass es nur zwei Erkenntnisquellen gebe (vgl. KrV, A 50). Das scheint mir deswegen kein Widerspruch zu sein, weil Kant hier offenbar einerseits eine grundlegende Gabelung in zwei Erkenntnisvermögen vor Augen hat, nämlich in Rezeptivität und Spontaneität, Sinnlichkeit und Verstand, und er andererseits dann hinsichtlich der Synthesen, die man im Zusammenwirken jener beiden Grundvermögen unterscheiden kann, drei Typen von Synthesis differenziert, eben die der wahrnehmenden Apprehension, der einbildenden Reproduktion und der begrifflichen Rekognition. Diese drei Synthesetypen spiegeln die unterschiedliche Dominanz von entweder rezeptiver Sinnlichkeit oder spontaner Apperzeption im Erkenntnisprozess wieder. Die Lehre von den drei Erkenntnisvermögen in der ersten Auflage der Kritik ist somit in den grundlegenden epistemischen Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand eingebettet; die Dreierunterscheidung ist daher spezifischer und betrifft nur die jeweilige Dominanz von mehr oder weniger hoch stehenden sinnlichen oder intellektuellen Verknüpfungsarten während der Synthesis von Sinnlichkeit und Apperzeption.

Nach der Deutung von Düsing hätte sich Kant sonst auch schlicht verzählt, als er in KrV, A 50 von den „zwei Grundquellen des Gemüths", Rezeptivität und Spontaneität, spricht. Kant sagt auch ausdrücklich in der „Vorrede" zur zweiten Auflage der Kritik, dass er mit den Überarbeitungen - insbesondere bei der Deduktion der Kategorien - lediglich methodische und klärende Änderungen in der Darstellungsweise vornahm und nichts Inhaltliches änderte (vgl. KrV, B XXXVII ff.). Wieso hätte er dort eine solch gewichtige inhaltliche Änderung von drei auf zwei Erkenntnisquellen zu reduzieren verschweigen sollen?

In gewissem Sinn lässt sich auch die Rede vom Schema als einem Dritten noch mit der Version der Kategoriendeduktion der zweiten Auflage der Kritik vereinbaren, denn es ist offensichtlich, dass Kant dort zwischen intellektueller und figürlicher Synthesis grundlegende Artunterschiede sieht, dass also die Synthesis speciosa eine Verknüpfung eigentümlicher Art ist, die nicht mit einer diskursiven, rein begrifflichen Synthese identifiziert werden darf, und dass die Form der Anschauung, die bloße Rezeptivität von beiden Synthesearten wiederum zu unterscheiden ist. Daher gibt es auch in der B-Version der Deduktion noch drei Erkenntnisstufen, die miteinander zu vermitteln sind, wobei die figürliche Synthesis das vermittelnde Dritte neben Rezeptivität und rein denkender Spontaneität bleibt, wenngleich auch hier der Dualismus von Sinnlichkeit und Rezeptivität grundlegend ist und jene drei Vermögen hierin eingebettet sind. Im Hintergrund der Lehre der Deduktion in der zweiten Auflage der Kritik, die eben zwischen rein formal-logischer, kategorialer und figürlicher Synthesis unterscheidet, kann man noch die vorherige Lehre der Synthesis der Apprehension, Synthesis der Reproduktion und der Synthesis der Rekognition durchscheinen sehen. Daher hat Kant auch später noch z. B. in einer Reflexion von Ende 1797 am Schematismuskapitel festgehalten, denn es zeigt:

„[...] daß durch die transscendentale Zeitbestimmung (weil sie mit den Erscheinungen und den Categorien gleichartig ist) die Anwendung der Categorien auf die Erscheinungen vermittelt und möglich gemacht werde. Die Schwierigkeit scheint zu seyn, weil die transscendentale Zeitbestimmung selbst schon ein Product der Apperception im Verhältnis auf die Form der Anschauung ist und also auch selbst die Nachfrage erregt, wie die Anwendung der Categorie auf die Anschauung möglich sey, da Categorien und Form der Anschauung heterogen sind. Uberhaupt ist der Schematism einer der Schwierigsten Puncte. - Selbst Hr. Beck kann sich nicht darein finden. - Ich halte dies Capitel für eins der wichtigsten." (Reflexion Nr. 6359, Ende 1797, Refl, AA 28: 686.)

Auch in dieser Zeit besteht also für den Schematismus die Aufgabe darin, die Heterogenität von Anschauung und Begriff durch schematische Homogenität zu vermitteln. Man kann nun interpretieren, dass Kant in der Lehre der A-Version die Schwierigkeit sah, dass man dort drei unterschiedliche Synthesetypen hat, diese können aber um zu einer Erkenntnis zu werden nicht einfach nebeneinanderstehen, daher erfordern die drei Synthesen eine weitere Synthese. Das kann in einen unendlichen Regress (oder Progress) von Synthesen führen. Dann würde die Erkenntnistheorie kollabieren, da sie Erkenntnis in immer weitere höhere Syntheseformen verschieben würde. Diesem Einwand begegnet die Lehre in der B-Version deutlich, indem sie letztlich alles Synthetisieren, das der Einbildungskraft und das des formallogischen Urteilsdenkens sowie die kategoriale Synthesis des Verstandes methodisch viel deutlicher auf die Einheit der Apperzeption zurückführt. Es macht einen unendlichen Re- oder Progress von Synthesen unmöglich, wenn nur genau ein Vermögen für Synthesen aller Art zuständig ist, eben die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption. Nur der Verstand denkt.

2 Schematische Einbildung der Zeit und wie das spontane Subjekt den inneren Sinn affiziert

Der zweite Beweisschritt der transzendentalen Deduktion in der B-Version der Kritik der reinen Vernunft erfüllt in meinem Verständnis die Aufgabe, die Resultate des ersten Beweisschritts der Kategoriendeduktion mit den Ergebnissen der transzendentalen Ästhetik wieder zusammenzuführen. Ging es in der transzendentalen Ästhetik darum zu zeigen, dass Raum und Zeit subjektive und zugleich notwendige Anschauungsformen sind, die nicht den Gegenständen als solchen zuzuordnen sind, was Raum und Zeit als transzendental-ideal bestimmt, so zeigt der zweite Beweisschritt der Deduktion, indem er die Lehre vom Schematismus und der produktiven Einbildungskraft enthält, wie Raum und Zeit als Formen der Anschauung für uns nur mittels formaler Anschauungen vorstellbar sind. Der zweite Beweisschritt vervollständigt und vollendet daher die transzendentale Deduktion dadurch, dass er zeigt, die Formen der Anschauung können uns nur dadurch die Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungen mit Bedeutung und Referenz geben, dass sie durch formale Anschauungen, eben durch die Schemata bzw. die figürlichen Synthesen der Einbildungskraft strukturiert sind. Darin dies klarer zu machen, liegt die Stärke der Deduktion in der Version der B-Auflage gegenüber der Lehre in der Version der ersten Auflage der Kritik, denn die Veränderung der Rolle der Einbildungskraft von einem selbständigen zu einem nunmehr unselbständigen Vermögen, zu einer bloßen Funktion des Verstandes, zeigt direkter, dass die Synthesen der Einbildungskraft letztlich unter der Leitung der intellektuellen Synthesis, der Synthesis des Verstandes stehen und sie somit durch die logische Form des Gegenstandes möglicher Erkenntnis gerechtfertigt sind. Die Reduktion in der B-Deduktion gegenüber der ersten Auflage der Kritik von drei auf zwei selbständige Vermögen, die zur Gegenstandserkenntnis führen, zeigt die oben von mir angesprochene Tendenz Kants mit der Vermögenslehre immer vorsichtiger umzugehen und zwei Vermögen sind nun wirklich kein ganzer „Sack voller Vermögen".

Der Gedanke Kants, die transzendentale, produktive Einbildungskraft als Selbstaffektion des Verstandes zu deuten, also als eine Einwirkung des Verstandes auf den inneren Sinn, d. h. auf die Zeit oder in einer etwas anderen Wortwahl des aktiven Subjekts auf das passive Subjekt führt jedoch nicht dazu, dass man die figürliche und die intellektuelle Synthesis, also die Synthesis der Einbildungskraft und die Synthesis der reinen Apperzeption einfach miteinander identifizieren dürfte. Man darf ja auch nicht z. B. die intellektuellen Synthesen der Kategorien mit den logischen Urteilsfunktionen identifizieren, wenngleich in beiden die gleichen Einheitsfunktionen gedacht werden, haben sie doch jeweils ihren eigentümlichen Anwendungs- und Geltungsbereich. Analog muss man sich das auch mit der Differenz zwischen figürlicher und intellektuell-kategorialer Synthesis vorstellen.

Ein Schema kann man als regelhaftes Verfahren, als einen methodischen Prozess der Bildgebung definieren, der eine anschauliche Einheit vorgibt, in die dann eine Vielzahl von Einzelexemplaren eingeordnet werden können. Kant differenziert im Schematismuskapitel zwischen empirischem Schema, rein sinnlich-anschaulichem Schema und transzendental-kategorialem Schema (vgl. KrV, A 141 f./B 180 f.). Wenn man z. B. den empirischen Begriff des Hundes hat, der durch begriffliche Merkmale definiert werden kann, dann schwebt einem gleichfalls zu diesem Begriff zugleich ein einheitliches, anschauliches Gebilde vor, das relativ wenige Charakteristika hat (z. B. ein „vierfüßiges Thier"; KrV, A 141/B 180) und nicht starr begrenzt ist und auch nicht starr begrenzt sein darf, vielmehr muss es möglich sein, in dieses virtuelle Gebilde auch solche Einzelexemplare einzuordnen, die wir noch nie in concreto sinnlich erlebt haben. Man muss also zwischen dem empirischen Begriff und dem empirischen Schema unterscheiden, der empirische Begriff wird diskursiv durch Merkmalsbestimmungen gedacht (mittels Abstraktion, Reflexion und Komparation) und das empirische Schema wird angeschaut (mittels virtueller Intuition, Variation und Kombination); der konkrete empirische Hund als wirklicher Einzelgegenstand wird dagegen wahrgenommen (mittels der fünf Sinne). Das anschauliche Schema des Hundes erlaubt uns nun einen uns neu begegnenden Hund unter den Begriff des Hundes zu subsumieren. Beim Schema eines Hundes darf z. B. nicht die Länge oder Farbe des Fells zu genau bestimmt sein, mitunter belehrt uns die sinnliche Anschauung, z. B. in China häufiger zu sehen, dass ein Hund auch mit pinkfarbenem Fell, umgeschnalltem Handtäschchen und rot lackierten Krallen immer noch ein Hund ist. Ein Schema ist also eine an den Rändern offene virtuelle Versammlung anschaulicher Charakteristika, die aber nur skizzenhaft unscharf bleiben. Daher ist das Schema ein Produkt der Einbildungskraft, denn das Hundeschema können wir auch dann abrufen, wenn gar kein Hund anschaulich in der Nähe ist; wir bilden das Hundeschema ein. Es ist gerade diese anschauliche Offenheit und Unbestimmtheit, die das empirische Schema mit dem empirischen Begriff gemeinsam hat. Auch der empirische Begriff hat wegen seiner abstrakten Allgemeinheit offene Ränder. Das Schema ist offenbar kein Bild (vgl. KrV, A 141 f./B 180 f.), d. h. kein singulärer Anblick, z. B. von Freges Fido. Ein Bild gibt uns immer nur Einzelanblicke, hier fehlt die unbestimmt skizzenhaft vorschwebende Offenheit, die für das Schema definitiv ist. Daher nannte ich das Schema ein bildgebendes Verfahren, es ist zwar selbst kein Bild, ermöglicht uns aber, Bilder von Einzelexemplaren von Hunden als solche erkennend unter den Begriff Hund zu subsumieren. Bei dem Wort „Einbildungskraft" darf man also nicht so sehr an „Ein-Bild" denken, als vielmehr an „einheitliche Bildung".

Man muss zwischen dem Schema eines empirischen Begriffs, eines mathematischen Begriffs und eines reinen Verstandesbegriffs, also einer Kategorie unterscheiden. Bei einem empirischen Begriff ist es so, dass der Gegenstand die Vorstellung ermöglicht; das gilt dann auch für das Schema eines solchen Begriffs. Daraus folgt, empirische Schemata sind kontingent; wer noch nie einen Hund wahrgenommen hat, wird auch nicht über das Schema eines Hundes verfügen. Bei Schemata von mathematischen Begriffen ist dies anders, die geometrische Figur des Dreiecks existiert nicht in der empirischen Welt, dort finden sich nur einzelne Bilder oder Beispiele für das ideale Dreieck, das nur im geometrischen Raum reiner Anschauung existiert. Solche mathematischen Entitäten sind Konstruktionen in der reinen Anschauung, also innerhalb der apriorischen Formen von Raum und Zeit, die uns nicht durch Empfindungen gegeben werden können. - Die Raumschemata ermöglichen dann in der Folge reine Geometrie und die reinen Zeitschemata reine Arithmetik. - Hier macht also in gewissem Sinne die Vorstellung den Gegenstand möglich. Das Grundverfahren der Mathematik ist daher nach Kant die Konstruktion. Das Schema eines mathematischen Begriffs muss aber ebenfalls an den Rändern offen und unbestimmt sein. Z. B. darf das Schema eines Dreiecks nicht darauf festgelegt sein, dass es ein spitzwinkliges Dreieck ist, schließlich subsumieren wir auch stumpfwinklige Dreiecke immer noch unter den Begriff des Dreiecks. Früher gab es die alten Bildschirmschoner, bei denen z. B. ein Dreieck wandernd und seine Gestalt verändernd über den Bildschirm schwebte, dies wäre ein Beispiel für ein solches Schema mathematischer Begriffe. Allerdings darf man sich bei einem solchen Schema kein sukzessives Verfahren denken, vielmehr enthält das Schema des Dreiecks die unterschiedlichen Dreiecke gleichermaßen in sich. Der Grund dafür, dass man sich das Schema selbst nicht als einen sukzessiven Prozess vieler Bilder vorstellen darf, liegt darin, dass man dann ja doch das Schema zu einer Vielzahl von Bildern gemacht hätte, aber das sind dann eben immer noch Bilder. Man hätte das Schema also doch wieder auf ein Bild zurückgeführt. Das Schema ist eine virtuelle, mögliche Anschaulichkeit und das Bild eine konkrete. Die Vielzahl von Bildern ist beim Schema aber auch deswegen ausgeschlossen, weil das Schema eine synthetische Gestalt ist, d. h. sie vereint in Einem Vieles gleichermaßen. Bei dem Schema eines mathematischen Begriffs ist offenbar ebenfalls ein bestimmtes bildgebendes Verfahren am Werk, ohne dass man diesen methodischen Prozess in einem einzelnen Bild fixieren könnte. Zugleich kann man hier die spezifische Anschaulichkeit, die dem Schema eignet, deutlich machen: Z. B. handelt es sich bei dem Schema des Kreises nicht um den Begriff des Kreises, der durch begriffliche Konstruktionsanweisungen, Radius, gleicher Abstand vom Mittelpunkt etc., durch abstrakte Merkmale definiert wird, sondern um eine virtuelle anschauliche Gegebenheit stetiger Rundung (vgl. KrV, A 137/B 176).

Eine Differenz, die sonst in der Transzendentalphilosophie von zentraler Bedeutung ist, besteht darin, zwischen dem noematischen Inhalt der Vorstellung und dem noetischen Prozess, wie wir diesen Inhalt vollziehen genau zu unterscheiden. So sind z. B. das Objekt und die Art und Weise, wie wir Objektivität konstituieren streng voneinander zu unterscheiden, wenngleich natürlich, das Ziel der Transzendentalphilosophie ist, zu zeigen, dass Objektivität das Objekt konstituiert, also beides notwendigerweise miteinander zusammenhängt. Beim Schema ist diese Differenz schwieriger festzustellen, denn da das Schema ein Verfahren der Einbildungskraft ist, nämlich das Verfahren einem Begriff eine Anschaulichkeit zu geben, ist im Schema die noetische und die noematische Ebene extrem eng beieinander. Gleichwohl ist dennoch natürlich auch hier zwischen dem Schema des Kreises als Noema, d. h. als Vorstellungsinhalt, und dem noetisch-schematischen Verfahren des Kreiseinbildens, d. h. als Vorstellungsmethode, zu unterscheiden.

Das Schema eines reinen Verstandesbegriffs, einer Kategorie, vereint Aspekte des empirischen und des mathematischen Schemas, ohne dass es auf diese als bloße Abstraktion aus jenen zurückgeführt werden könnte. Wie das empirische und das mathematische Schema muss auch das Schema einer Kategorie für Sinnesdaten offen sein, die in der Wahrnehmung oder Empfindung gegeben sind, es hat also ebenfalls Möglichkeitscharakter, andererseits muss es aber auch mit den reinen Anschauungsformen, also mit Raum und Zeit, unabhängig von Sinnesdaten verbindbar sein. Wenngleich ich mich im Folgenden auf die transzendentalen Schemata der Zeit konzentriere, kennt Kant natürlich auch transzendentale Schemata des Raumes. Doch die Zeitschemata haben einen gewissen Vorrang, weil alles, was im Raum ist, auch in der Zeit ist, aber nicht alles, was in der Zeit ist, auch im Raum; daher sind die Schemata der Zeit grundsätzlicher, d. h. sie umfassen mehr. Nehmen wir z. B. den Verstandesbegriff der Kausalität, dann besteht sein Schema in einer spezifischen zeitlichen Anordnung von Ursache und Wirkung, nämlich in der Sukzession, dass die Ursache gemäß einer Regel vor der Wirkung vorhergeht. Das unterscheidet die schematisierte Kategorie der Kausalität von der Kausalitätskategorie als solcher, die eben nur die Regel von der Ursache als Bedingung für die gesetzmäßig eintretende Wirkung als das Bedingte bezeichnet; dass sich das sukzessiv ereignet, ist auf die Verzeitlichung dieser Kategorie durch die Einbildungskraft zurückzuführen. Die Kategorie der Kausalität gibt uns nur die konditionale Folge von Bedingung und Bedingtem an für mögliche Gegenstände der Erfahrung überhaupt, noch nicht, dass sich dies im Rahmen unserer Sinnlichkeit in der Früher-Später-Relation ereignet. Daran wird deutlich, dass mit der Sukzession, als einer durch die transzendentale Einbildungskraft eingebildeten Ordnung in die Zeit als Form der Anschauung, die Zeit allererst ein bestimmtes Ordnungsgefüge erlangt. Die Zeit als Form der Anschauung ist als solche noch nicht durch Sukzession gekennzeichnet, denn Sukzession erfordert eine Synthesis, eine Verknüpfung von mannigfaltigen Zeitmomenten zu einer einheitlichen Zeitreihe. Solche synthetischen Leistungen sind auch für die beiden anderen Grundmodi der Zeit, die Beharrlichkeit und die Gleichzeitigkeit notwendig.

Diese drei Grundmodi der Zeit - Beharrlichkeit, Nacheinander und Gleichzeitigkeit - sind Produkte der Einbildungskraft, sofern sie die Mannigfaltigkeit der apriorischen Anschauungsform Zeit selbst als geordnete und verknüpfte Einheit hervorbringt. Insofern bildet die Zeit der Einbildungskraft durchaus eine genuine Zeitstruktur, die nicht mit der Zeit als Anschauungsform identifiziert werden darf; und es ist wichtig, dass Kant im gesamten Kontext der transzendentalen Zeitbestimmung nicht Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft erwähnt. Hier wende ich mich gegen die sonst vorzügliche Kantdeutung von Henry Allison, der die Leistung der Einbildungskraft darin sieht, mit Zukunft und Vergangenheit über die Gegenwart hinauszugehen. Das ist eine Deutung, die sich mutatis mutandis schon bei Fichte in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre und in der Wissenschaftslehre nova methodo findet, nämlich, dass es die schwebende Einbildungskraft ist, die in ihrem Oszillieren zwischen Widersprüchlichen den gegenwärtigen Moment zur Zeitstrecke in Vergangenheit und Zukunft aus- und zerdehnt. Auch für die Zeitphilosophie Husserls sind natürlich Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit, bzw. deren phänomenologische Basiseinheiten mit Impression, Retention und Protention zentral. Doch offenbar sieht Kant mit den drei Grundmodi Beharrlichkeit, Sukzession und Simultaneität als vorgängigen Strukturierungen der Zeit etwas Grundsätzlicheres als Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart am Werk, denn das Nacheinander, die Gleichzeitigkeit und die Beharrlichkeit sind Voraussetzungen jener drei Momente der Zeit.

Dass etwas in der Zeit entsteht oder vergeht, nicht aber die Zeit selbst zeitlich vergeht oder entsteht, bildet den Grundmodus der Zeit, nämlich die Beharrlichkeit.

Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich das Dasein des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und bleibend ist, correspondirt in der Erscheinung das Unwandelbare im Dasein, d. i. die Substanz, und bloß an ihr kann die Folge und das Zugleichsein der Erscheinungen der Zeit nach bestimmt werden. (KrV, A 144/B 183)

Diese Beharrlichkeit lässt sich offenbar durch die Kategorie der Substanz denken, ohne aber dass die Zeit dadurch selbst zu einer Substanz würde, denn was hierbei als beharrend gedacht wird, ist bloß die Form der Zeit, es gibt hier also keine inhaltlichen Entitäten, die die Zeit substantialisieren könnten, sie bleibt, aber als bloße Form. Daher spricht Kant hier davon, dass dem Bleibend-Beharrlichen der Zeitlichkeit die Substanz „korrespondiert"; es handelt sich also um eine Entsprechung hinsichtlich des Beharrungscharakters. Wie gesehen kann etwas Innerzeitiges in einem konditionalen Nacheinander regelhaft geordnet werden, dem korrespondiert die Kategorie der Kausalität. Wendet man diese Ordnung aber nicht auf Innerzeitiges an, sondern auf die Zeit als Form der Anschauung selbst, wird daraus das Nacheinander, die sukzessive Verlaufsform der Zeit, bei dieser besteht die Ordnung darin, dass die Zeit in einer Richtung, eindimensional und linear verläuft und die späteren Zeitmomente frühere voraussetzen, d. h. spätere Zeitpunkte nicht ohne frühere existieren würden. Der Kausalitätskategorie korrespondiert also die Sukzession der Zeit. Die Kategorie der Wechselwirkung setzt schematisiert in Bezug auf ein Innerzeitiges zwei Substanzen, die miteinander durch ihre Akzidentien wechselseitig als Ursache oder Wirkung (in verschiedenen Hinsichten) gedacht werden. Wendet man diese Wechselseitigkeit auf die Zeit selbst an, erhält man die Gleichzeitigkeit. Gleichzeitigkeit der Zeit selbst muss es geben, weil die Zeit einerseits beharrlich ist und andererseits linear verlaufend, das eine ist nicht das andere, trotzdem konstituiert beides die Zeit; da beides irreduzibel ist, muss es auch die Gleichzeitigkeit als Bestimmung der Zeit geben, denn sie ist gleichzeitig beharrlich und sukzessiv. Diese Modi der Zeit sind als figürliche Synthesen formale Anschauungen, keine bloßen Formen der Anschauung mehr; das spontane, Synthesen vollbringende Subjekt bestimmt somit sich selbst sofern es passiv ist, d. h. den inneren Sinn.

Allein die figürliche Synthesis, wenn sie bloß auf die ursprünglich synthetische Einheit der Apperception, d. i. diese transscendentale Einheit geht, welche in den Kategorien gedacht wird, muß, zum Unterschiede von der bloß intellectuellen Verbindung, die transscendentale Synthesis der Einbildungskraft heißen. Einbildungskraft ist das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen. Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft, der subjectiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine correspondirende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit; sofern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung der Spontaneität ist, welche bestimmend, und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar ist, mithin a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperception gemäß bestimmen kann, so ist die Einbildungskraft sofern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß, muß die transscendentale Synthesis der Einbildungskraft sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung derselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist. (KrV, B 151 f.)

Die hier beschriebene Selbstaffektion, die darin besteht, dass die bestimmende Spontaneität der Apperzeption auf den inneren Sinn, d. h. die Zeit einwirkt, ist ein Selbstverhältnis des Subjekts zu sich, denn das aktive Subjekt wirkt auf den passiven Teil des Subjekts ein. - Man kann hier natürlich zu Recht problematisieren, wie Kant hier von Wirkung und daher auch von Ursache und von Affektion sprechen kann, das sind kategoriale Bestimmungen, die nur in Bezug auf ein Gegebenes der sinnlichen Mannigfaltigkeit in der Empfindung und Wahrnehmung Sinn machen, all dies liegt aber bei dem Prozess der Selbstaffektion nicht vor. „Selbstaffektion" ist also nur ein analogisierender, metaphorischer Ausdruck, um uns die transzendentale Synthesetätigkeit der Apperzeption klarer machen zu können. - Offenbar hat Kant damit vor Augen, dass die Einheit der Apperzeption, also das Vermögen der intellektuellen Synthesis auf das vorgegebene Zeitmannigfaltige, das als Form der Anschauung gegeben ist, ordnend einwirkt oder es informiert, indem es jene Zeitsynthesen herstellt.

Diese subjektimmanente Beziehung auf sich ist die „erste Anwendung" transzendentalen Selbstbewusstseins; „Anwendung" ist hier durchaus wörtlich zu nehmen, denn das Subjekt wendet sich auf sich selbst. Die Erstheit bedeutet daher nicht einen Ursprung in der Zeit, sondern überhaupt den Ursprung und Quell der Zeit als einer geordneten und vorstellbaren Struktur aus transzendentalidealistischer Sicht. Zugleich bedeutet diese Erstheit aber auch „vorzüglich" und „vorrangig", denn alle anderen Anwendungen von Spontaneität hängen - zumindest in Hinsicht auf unsere theoretischen Vermögen - offenbar von dieser Verzeitlichung und Zeitordnungsherstellung durch das Subjekt ab. Erst wenn diese Verzeitlichung der aktiven Spontaneitätsapperzeption erfolgt ist, können uns überhaupt Gegenstände als mögliche Erkenntnisobjekte begegnen. Wenn uns nämlich überhaupt irgendwelche Gegenstände sollen begegnen können, dann kann das nur in einem geordneten Raum und in einer geordneten Zeit geschehen. Dass diese Anwendung einer Zeitordnung zuerst geschieht, ist also nicht zeitlich zu verstehen, denn dieser Akt bringt ja überhaupt erst die Zeitordnung hervor, sondern es ist konditional zu verstehen. Diese Konditionalität regelt das Verhältnis der transzendentalen Vermögen des Subjekts untereinander.

Da die transzendentale, Zeitschemata produzierende Einbildungskraft eine Wirkung des Verstandes auf den inneren Sinn ist und somit ein Selbstverhältnis der rein intelligiblen Apperzeption auf den inneren Sinn darstellt, kann man sagen, dass hier eine Art Depotenzierung und ein Selbstverhältnis des Selbstverhältnisses stattfindet: Die reine Einheit der Apperzeption ist bereits ein Selbstbewusstsein und dieses tritt zu sich in ein verzeitlichendes Selbstverhältnis. Dieses doppelte Selbstverhältnis ist aber kein unproduktives, nutzloses Kreisen um sich selbst, denn durch die Selbstaffektion öffnet sich das Subjekt für Gegenstände, denn diese können nun z. B. nacheinander, gleichzeitig oder als beharrlich erscheinen. Dieses Erscheinen der Gegenstände geschieht daher auch nicht impersonal, die Gegenstände selbst können natürlich auch Nicht-Personen sein, aber da sie immer einerseits im inneren Sinn, in der Zeit als Form der Anschauung und gleichfalls in formalen Anschauungen, also in der geordneten Zeit erscheinen, erscheinen sie in einer von jemandem und für jemanden geordneten Zeit; Gegenstände können daher eben immer nur einem Subjekt erscheinen, weil das Erscheinen als räumliches oder zeitliches Ereignis an eine den äußeren und den inneren Sinn ordnende Apperzeption zurückgebunden ist.

In Analogie zur Kausalitätskategorie mit Ursache und Wirkung, kann hier also die Einheit der Apperzeption als Ursache und die Einbildungskraft als Wirkung verstanden werden. Durch diese Analogie lässt sich auch die Rolle und der Status der Einbildungskraft weiter erklären: So wie die Wirkung von der Ursache abhängt und doch der Wirkung auch eine relative Selbständigkeit zukommt, weil sie nicht mit der Ursache identisch ist, die Wirkung steht ja nicht in einem analytischen, sondern synthetischen Verhältnis zur Ursache, so kommt auch der Einbildungskraft gegenüber der Apperzeption Abhängigkeit und relative Selbständigkeit zu.

Im vorangehenden Zitat wird aber auch die Janusköpfigkeit der Einbildungskraft deutlich: sie gehört zur Sinnlichkeit, weil sie nur sofern Begriffen überhaupt anschauliche Gegenstände zuordnen kann, weil sie anschauungsartig ist, und d. h., wenn sie zur Passivität des inneren Sinnes in Verbindung steht. Gleichwohl ist die Einbildungskraft synthetisch, deswegen muss sie auch zur intellektuellen Aktivität in Bezug stehen. Wäre die Aktivität der Einbildungskraft nun aber nicht letztlich auf den Verstand bzw. die Apperzeption zurückzuführen, müsste es im transzendentalen Subjekt verschiedene Aktuositäten geben, zwischen denen dann wiederum etwas anderes Drittes vermitteln würde. - Das würde zum „dritten Mensch"-Argument von Aristoteles führen und bildet also kein sinnvolles Erklärungsmodell; ex negativo kann man daher einsehen, dass es dieselbe Spontaneität sein muss, die einmal bezüglich reiner Gedanken (intellektuelle Synthesis) und einmal bezüglich des Zeitmannigfaltigen (und Raummannigfaltigen) (figürliche Synthesis) aktiv ist. - Schon bei den Kategorien und den logischen Urteilsfunktionen handelt es sich um den jeweils selben Einheitsgedanken ausgeführt von der Apperzeption, weil es nicht mehrere, voneinander unabhängige Synthesisaktuositäten im Subjekt geben kann, d. h., z. B. die hypothetische logische Urteilsfunktion entspricht der kausalen kategorialen Synthesis hinsichtlich ihrer intellektuellen Verknüpfungsart. So entspricht auch der Verknüpfungsgedanke im Schema der Kausalität der Verknüpfungsart in der Kausalitätskategorie und in der hypothetischen Urteilsfunktion.

Wenn Kant ausführt, dass bei der figürlichen Synthesis die Spontaneität „a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperzeption gemäß" bestimmt, dann entspricht dies genau der hier vorgeschlagenen Deutung der Funktion des Schematismus innerhalb des zweiten Beweisschrittes der Deduktion der Kategorien, denn offenbar wird hier zunächst die Form des Sinnes selbst bestimmt, nicht etwas, das innerhalb dieser gegeben ist (Gegenstände oder Empfindungen). Und das bedeutet wiederum, dass es sich um einen ersten, ursprünglichen Akt der Spontaneität handelt, wenn sie den Raum selbst und die Zeit selbst affiziert bzw. ordnet.

Zwar muss man in der transzendentalen Analyse unserer Erkenntnisvermögen so etwas wie eine reine aber ungeordnete Raum- und Zeitmannigfaltigkeit annehmen, die keine Synthesen aufweisen, aber da es der erste und grundlegende Akt unserer Spontaneität ist, die Anschauungsformen zu ordnen, können wir uns jene ungeordnete Vorgegebenheit von Mannigfaltigkeit nicht wirklich vorstellen. Sie lässt sich eben nur in transzendentaler Vermögensanalyse und in transzendentaler Analyse des Erkenntnisgegenstandes als eines der Elemente, die in jedem Erkenntnisprozess und Erkenntnisgegenstand vorkommen rekonstruieren, denn wenn es Akte der Ordnungsherstellung gibt, muss es auch zu ordnendes Mannigfaltiges geben, das eben noch nicht als von sich her geordnet gedacht werden kann. Doch wenn wir diese reinen Raum-Zeit-Mannigfaltigkeiten vorstellen, sind sie bereits immer schon wieder geordnet. Das liegt eben daran, dass wir sie vorstellen. Es liegt zwar auch schon im Begriff von bloßer, reiner Mannigfaltigkeit, dass sie an sich selbst keine Ordnung enthalten kann, denn dann würde sie nicht mehr pure Mannigfaltigkeit sein, es gäbe in ihr ja Einheit, doch eine bloße Mannigfaltigkeit, wenn unvorgestellt und d. h. ungeordnet, wäre nichts für uns. Auch daher kann Kant diesen Akt der Verzeitlichung der Spontaneität als einen ersten und grundlegenden bezeichnen („erste Anwendung"), wir können vor ihm nichts erkennen. Wie die Transzendentalphilosophie selbst mit ihren Konstruktionen von reiner Sinnlichkeit aber zeigt, wie auch die Logik als reines Denken formaler Begriffsverhältnisse und auch dogmatische Metaphysik beweisen, können wir zwar unabhängig von der Verzeitlichung der Spontaneität der Apperzeption vieles denken, aber eben nicht erkennen.

Ganz ähnlich formuliert es Kant im Brief an Johann Heinrich Tieftrunk vom 11. Dezember 1797 (Br, AA 12: 222 f.):

Der Begrif des Zusammengesetzten überhaupt ist keine besondere Categorie, sondern in allen Categorien (als synthetische Einheit der Apperception) enthalten. Das Zusammengesetzte nämlich kann als ein solches, nicht angeschaut werden; sondern der Begrif oder das Bewußtsein des Zusammensetzens (einer Function die allen Categorien als synthetischer Einheit der Apperception zum Grunde liegt) muß vorhergehen, um das mannigfaltige der Anschauung gegebene sich in einem Bewußtsein verbunden, d. i. das Objekt sich als etwas Zusammengesetztes zu denken, welches durch den Schematism der Urtheilskraft geschieht indem das Zusammensetzen mit Bewußtsein zum inneren Sinn, der Zeitvorstellung gemäs einerseits, zugleich aber auch auf das Mannigfaltige in der Anschauung gegebene Andererseits bezogen wird. [...] Die logische Subsumtion eines Begrifs unter einen höheren geschieht nach der Regel der Identität, und der niedrigere Begrif muß hier als homogen mit dem höheren gedacht werden. Die transzendentale dagegen, nämlich die Subsumtion eines empirischen Begriffs unter einen reinen Verstandesbegriffe durch einen Mittelbegrif, nämlich den des Zusammengesetzten aus Vorstellungen des inneren Sinnes ist unter eine Categorie subsumiert, darunter etwas dem Inhalte nach heterogenes wäre, welches der Logik zuwider ist, wenn es unmittelbar geschähe, dagegen aber doch möglich ist, wenn ein empirischer Begrif unter einen reinen Verstandesbegriffe durch einen Mittelbegrif, nämlich den des Zusammengesetzten aus Vorstellungen des inneren Sinnes des Subjekts, sofern sie den Zeitbedingungen gemäß, a priori nach einer allgemeinen Regel ein zusammengesetztes darstellen enthält welches mit dem Begriffe eines Zusammengesetzten überhaupt (dergleichen jede Categorie ist) homogen ist u. so unter dem Namen eines Schema die Subsumtion der Erscheinungen unter den reinen Verstandesbegriffe ihrer synthetischen Einheit (des Zusammensetzens) nach, möglich macht.

Daher bildet Kants Theorie der Selbstaffektion und der Verzeitlichung der Apperzeption einen ganz zentralen Baustein für die Antwort auf die Grundfrage der ersten Kritik insgesamt: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?".

Wenngleich Beharrlichkeit, Sukzession und Simultaneität Grundmodi der Zeit sind, die als Zeit der Einbildungskraft zu gelten haben, weil sie figürliche Synthesen des Zeitmannigfaltigen sind, also bestimmte Anordnungen von Zeitmomenten, so sind diese drei Modi doch nicht selbst die schematisierten Kategorien der Relation, daher sagte ich, dass man die Beharrlichkeit auf die Substantialität zu beziehen hat, die Sukzession auf die Kausalität und die Simultaneität auf die Wechselwirkung. Denn z. B. hinsichtlich der Sukzession kann man auch beobachten, dass kausal gar nicht zusammenhängende Ereignisse sukzessiv sind, beharrlich, d. h. dauernd, können auch Akzidentien sein und simultan können auch nicht miteinander auf die Weise der Wechselwirkung zusammenhängende Begebenheiten sein. Die Grundmodi der Zeit bilden also zwar eine umfassendere aber auch weniger bestimmte Ordnung als die schematisierten Kategorien. Um als ein Objekte bestimmendes Schema der Kategorie der Substanz zu gelten, muss es sich vielmehr um ein beharrliches Reales in der Zeit handeln, um als Objekte bestimmendes Schema der Kausalität zu gelten, muss es sich um ein sukzessiv kausal verknüpftes Reales in der Zeit handeln; analog bei dem Objekte bestimmenden Schema der Wechselwirkung um ein Reales, das wechselseitig kausaler Beeinflussung unterliegt. Daraus folgt, dass schematisierte Kategorien der Relation solches Mannigfaltige betreffen, das innerzeitig ist, nicht mehr nur die Zeitstruktur selbst, sofern sie beharrlich, sukzessiv, simultan ist. Es sind aber auch die Schemata der Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit) und der Qualität (Realität, Negation, Limitation), also die Schemata der mathematischen Kategorien, die einerseits die Zeit als Form der Anschauung ordnen und dadurch jene Grundmodi der Zeitordnung einbilden und andererseits auf Innerzeitiges zu beziehen sind, das sie wiederum als etwas bestimmen, das uns in der Sinnlichkeit gegeben ist. Natürlich sind auch die Schemata der Modalität einerseits auf die Struktur der Zeit als auch andererseits auf Innerzeitiges zu beziehen.

So impliziert die Vorstellung der Zeit als einer sukzessiven Zeitreihe den Akt, eine Einheit mit einer nächsten gleichartigen Einheit zu verknüpfen, wenn dieses Addieren als hintereinander gereiht geschehend angeschaut wird, dann entsteht das Bild von der Zeit als einem Nacheinander von Zeitmomenten. Man sieht hieran, wie die schematisierten Kategorien in der Hervorbringung der formalen Anschauung zusammenarbeiten: Die Schematisierung der Zeit als einer Sukzession impliziert die Schematisierung der Quantitäts- und Qualitätskategorien und schließt daran durch das Hineinbilden einer bestimmten, nämlich regelhaften Ordnung an, nämlich dass spätere Zeitpunkte früheren folgen und dies nicht umgekehrt sein kann.

Die Differenz zwischen einerseits dem Schematismus der Einbildungskraft als Selbstaffektion und Ordnung der Zeit (und des Raumes) selbst durch die Einheit der Apperzeption und andererseits dem Schematismus als Ordnung von räumlich und zeitlich erscheinenden Gegenständen, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass letztlich beides zusammenhängt und das eine nur rekonstruiert wird, um die Konstitution der Gegenstandserkenntnis, also den zweiten Schematismus durch den ersten, die Selbstaffektion zu verdeutlichen.

Man sieht nun aus allem diesem, daß das Schema einer jeden Kategorie, als das der Größe, die Erzeugung, (Synthesis) der Zeit selbst, in der successiven Apprehension eines Gegenstandes, das Schema der Qualität die Synthesis der Empfindung (Wahrnehmung) mit der Vorstellung der Zeit, oder die Erfüllung der Zeit, das der Relation das Verhältniß der Wahrnehmungen untereinander zu aller Zeit (d. i. nach einer Regel der Zeitbestimmung), endlich das Schema der Modalität und ihrer Kategorien, die Zeit selbst, als das Correlatum der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehöre, enthalte und vorstellig mache. Die Schemate sind daher nichts als Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen nach der Ordnung der Kategorien, auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff in Ansehung aller möglichen Gegenstände. (KrV, A 145/B 184)

Hieran wird ein Sachproblem deutlich, das zu Missverständnissen und Fehldeutungen Anlass gibt: Nämlich die Akte der transzendentalen Einbildungskraft fallen offenbar nicht selbst in die strukturierte Zeit, denn sie ermöglichen sie allererst, machen sie uns zu einem möglichen Vorstellungsgegenstand. Wenn man nun wie z. B. Patricia Kitcher deutet, dass doch die Akte der Einbildungskraft (und damit auch der Apperzeption) selbst auch Zeit brauchen würden, dann kommt man in Absurditäten und Widersprüche, die Kants Lehre unhaltbar erscheinen lassen. Kitcher deutet denn auch Kants Schematismus als inkohärent und lehnt den transzendentalen Psychologismus ab. Doch Kitcher argumentiert gegen ein Scheinproblem, das sich bei Kant selbst nicht stellt, denn die transzendentalen Akte der Einbildungskraft als geordnete Zeit ermöglichend sind selbst eben nicht mehr zeitlich oder empirisch zu bestimmen, sonst wäre das Bedingende zugleich durch das Bedingte bestimmt, was nicht nur undenkbar, sondern auch zirkulär wäre. Jene dargelegten Zeitstrukturierungen durch Selbstaffektionen des Verstandes sind bloße gedankliche Rekonstruktionen von Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, wenn Erkenntnis möglich sein soll. Daher kann man sagen, dass sich Kitcher einer „Amphibolie der Reflexionsbegriffe" (vgl. KrV, A 270/B 326) schuldig macht, denn sie verwechselt konstitutive Bestimmungen für das reine Verstandesobjekt mit solchen der Erscheinung und macht damit einen Fehler, den Kant bereits Locke vorwirft, nämlich apriorische Bestimmungen zu „sensifizieren" (KrV, A 271/B 327). Man kann aus der die Zeit bedingenden Funktionsweise der Einbildungskraft natürlich auch nicht ableiten, dass sie unzeitlich oder gar ewig wäre. Das wäre ebenfalls zu viel gesagt, weil solches eben kein Erkenntnisgegenstand mehr für uns sein kann, denn dass solches Überzeitliche kein Erkenntnisgegenstand für uns sein kann, folgt ja gerade aus der Notwendigkeit, unsere Kategorien zu verzeitlichen. Mit Kant lässt sich kein Rückfall in eine ontologische Bestimmung der transzendentalen Vermögen legitimieren, da dies eine Art rationaler Psychologie wäre. Die transzendentale Einbildungskraft selbst erkennen wir nicht, weil sie Bedingung der Erkenntnis ist. Das bedeutet aber nicht, dass wir sie nicht mit einer gewissen Notwendigkeit denken müssen, ihr kommt eine konzeptionelle Realität (im Sinne von Sachhaltigkeit, nicht von Existenz) durchaus zu. Ob und wie die transzendentale Einbildungskraft wirklich existiert, muss aufgrund ihrer bloß konzeptionellen Lebensweise eine systematisch offene Frage bleiben. Was die Transzendentalphilosophie aber sehr wohl machen kann und was auch eine ihrer genuinen Aufgaben bildet, ist es, gleichartige Synthesetypen sowie ihre Resultate, die wir in unseren tatsächlichen Erkenntnissen auffinden - Kant nennt dies „Monogramm[e] der reinen Einbildungskraft" (KrV, A 142/B 181) - auf einen Begriff zu bringen und diese Dynamis in einem Vermögen zusammenfassen, eben unter dem Namen: produktive Einbildungskraft. Dass das schwierig ist, bringt Kant selbst bestens mit einem vielzitierten Satz auf den Punkt, der auch nochmals unterstreicht, dass seine Transzendentalphilosophie eine besondere Art der Psychologie erfordert:

Dieser Schematismus unseres Verstandes in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden. (KrV, A 141/B 180 f.)

Man kann auch von hier aus Augustins berühmtes Diktum verstehen, dass solange ihn niemand nach der Zeit fragt, er weiß was sie ist, er operiert dann mit ihr, sofern sie schon als geordnete Struktur zur Verfügung steht und in ihrer Mitgegebenheit als Horizont präsent ist, fragt sich der Kirchenvater aber, was die Zeit selbst und an sich ist, dann wird es schwierig dies noch zu artikulieren, denn dann muss man die Zeit einerseits als reine Anschauungsform und andererseits als geordnete Einheit selbst zum Untersuchungsgegenstand machen, also in die philosophischen Tiefen der menschlichen Seele hinabsteigen und sich bei der eigenen Selbstaffektion zusehen.

Footnotes 1 Vgl. den für die Forschung zu Kants Kategoriendeduktion wegweisenden Aufsatz: Dieter Henrich: „Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion." In: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln. Hrsg. von G. Prauss. Köln 1973, 90-104, bes. 90; vgl. auch: Dieter Henrich/Hans Wagner: „Die Beweisstruktur der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe - eine Diskussion mit Dieter Henrich. In: Probleme der ‚Kritik der reinen Vernunft'." Hrsg. von B. Tuschling. Berlin/New York 1984, 34-96; vgl. auch: Dieter Henrich: „Die Identität des Subjekts in der transzendentalen Deduktion." In: Kant. Analysen - Probleme - Kritik. Hrsg. von H. Oberer/G. Seel. Würzburg 1988, 39-70. Vgl. generell zum Thema auch: Manfred Baum: Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur Kritik der reinen Vernunft. Königstein 1996. 2 „Die drei modi der Zeit sind Beharrlichkeit, Folge und Zugleichsein." (KrV, A 177/B 219.) 3 Vgl. Beatrice Longuenesse: Kant and the Capacity to Judge. Princeton 1988, 214-225. 4 Vgl. Peter Strawson: The Bounds of Sense: An Essay on Kant's Critique of Pure Reason. London 1966, 15 f., 29 ff., 266. 5 Strawson: The Bounds of Sense, 32. 6 Vgl. Jonathan Bennett: Kant's Analytic, Cambridge 42016, 150. 7 Vgl. Robert Wolff: Kant's Theory of Mental Activity. Cambridge 1969, 207. 8 Terence E. Wilkerson Kant's Critique of Pure Reason. Oxford 1976, 94. 9 Vgl. Robert Pippin: "The Schematism and Empirical Concepts." In: Kant-Studien 67, 1976, 156-171, bes. 160. Vgl. Daniel Dahlstrom: Philosophical Legacies: Essays on the Thought of Kant, Hegel, and Their Contemporaries, Washington 2008; darin: Kap. 2: "Knowing How and Kant's Theory of Schematism", 17-32. Vgl. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III. In: Ders.: Werke. Hrsg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel. Frankfurt a.M. 1976, Bd. 20, 337. Vgl. Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Appendix: „Kritik der Kantischen Philosophie". Wiesbaden 1949, 534. Daher betont schon zu Recht Reinhard Brandt: „Ausgewählte Probleme der kantischen Anthropologie" in: Der ganze Mensch: Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert, hrsg. von Hans-Jürgen Schings, Stuttgart 1994, 14-32, bes. 31, dass in Kants transzendentaler Ästhetik die anthropologischen Zeitmodi Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft keine Rolle spielen und auch nicht spielen dürfen, da dies die transzendental apriorische Idealität der Zeit aufheben würde, schließlich setzt man mit dem konkreten Menschen einen empirischen Gegenstand in Raum und Zeit voraus. Vgl. Dieter Sturma: Kant über Selbstbewusstsein: Zum Zusammenhang von Erkenntniskritik und Selbstbewusstsein. Hildesheim 1985, 32 ff.; sowie ders.: „Die Selbstverhältnisse der Person." In: Journal für Psychologie 13 (3), 2005, 240-254, bes. 249 ff. Vgl. Klaus Düsing: „Schema und Einbildungskraft in Kants ‚Kritik der reinen Vernunft'". In: Ders.Immanuel Kant: Klassiker der Aufklärung. Untersuchungen zur kritischen Philosophie in Erkenntnistheorie, Ethik, Ästhetik und Metaphysik. Hildesheim/Zürich/New York 2013, 17-40, bes. 30 ff. Vgl. Düsing: „Schema und Einbildungskraft in Kants ‚Kritik der reinen Vernunft'", 37; eine gleichlautende Darstellung und Kritik vertritt Düsing auch in: Spontane, diskursive Synthesis. Kants neue Theorie des Denkens in der kritischen Philosophie. In: Ders.: Immanuel Kant: Klassiker der Aufklärung, 41-67, bes. 52 ff. Wie Kants Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen aus den Prolegomena und wie auch später die Lehre vom ästhetischen Urteil aus der KU zeigen, ist es aber nicht notwendig, dass tatsächlich alle Vollzüge der Apperzeption ausdrücklich auf den Begriff gebracht werden; das ist freilich bei Erkenntnis- bzw. Erfahrungsurteilen notwendigerweise der Fall. Sehr differenziert geht dieser Unterscheidung nach Lidia Gasperoni: Versinnlichung. Kants transzendentaler Schematismus und seine Revision in der Nachfolge. Berlin/Boston 2016, 100-150. Sehr einleuchtend führt in seiner bei Heidegger angefertigten und mit summa bewerteten Dissertation Hermann Mörchen: Die Einbildungskraft bei Kant, Halle 1930, 426, aus: „Das Schema ist ja nicht ein kontinuierliches Nacheinander von Bildvorstellungen; die möglichen Bilder werden zugleich gesehen, und zwar aufgrund eines vorgängigen Überschlags der im Begriff vorgezeichneten Möglichkeiten; sie werden als mögliche gesehen und nicht als gleichzeitig oder nacheinander aktualisierte. Das Bild wird dadurch wirklich, dass faktisch eine durch das Schema dargebotene Möglichkeit gewählt wird; es wird überhaupt durch das Schema möglich". Freilich kann man hier weiter diskutieren, was es bedeutet, wenn Mörchen einerseits sagt, im Schema würden die möglichen Bilder zugleich gesehen und kurz darauf, dass da die Bilder als mögliche gesehen würden, sie nicht als gleichzeitige aktuelle gesehen werden. Diese schwierige und subtile Differenz im Schema (gleichzeitige mögliche Bilder vorzuzeichnen, aber nicht gleichzeitige wirkliche Bilder wiederzugeben) scheint mir sehr genau die Virtualität des Schemas zu beschreiben. Und diese dürfen nicht nivelliert werden, denn sie sind von zentraler Bedeutung dafür, dass Kants „Widerlegung des Idealismus" funktionieren kann. Natürlich ist es korrekt, wenn in der Kant-Forschung die Zeitschemata betont werden, weil sie in gewissem Sinne umfassender sind als die Raumschemata, doch umgekehrt gilt eben auch, dass man den Beweis für die Existenz von Wirklichem außerhalb von uns nur dann führen kann, wenn Raumschemata nicht auf Zeitschemata zurückzuführen oder gar darauf zu reduzieren sind. Die Eigenständigkeit von Raumschemata aufzuheben, würde in Kants zweiter Auflage der Kritik eben dazu führen, dass der Raum etwas ist, das uns nur im inneren Sinn, in der Zeit, gegeben ist, ohne Selbständigkeit der Raumschemata würde der Raum zum Epiphänomen der Zeit, und dann wäre der solipsistische Idealismus wieder möglich. Dies klärt auf, weshalb Kant in der Deduktion nach Einführung der Lehre von der Einbildungskraft und ihres transzendentalen Schematismus sagt (KrV, B 152 f.): „Hier ist nun der Ort, das Paradoxe, was jedermann bei der Exposition der Form des inneren Sinnes (§ 6) auffallen mußte, verständlich zu machen: nämlich wie dieser auch sogar uns selbst, nur wie wir uns erscheinen, nicht wie wir an uns selbst sind, dem Bewußtsein darstelle, weil wir nämlich uns nur anschauen wie wir innerlich afficirt werden, welches widersprechend zu sein scheint, indem wir uns gegen uns selbst als leidend verhalten müßten; daher man auch lieber den inneren Sinn mit dem Vermögen der Apperception (welche wir sorgfältig unterscheiden) in den Systemen der Psychologie für einerlei auszugeben pflegt." Mit letzterem kann z. B. Baumgarten (vgl.Metaphysik, Halle 1739, § 396) gemeint sein. Das Paradox besteht darin, dass wir selbst uns auch nur als Erscheinungen zugänglich sind, nicht als Dinge an sich und das enthält wiederum ein fast schon an Fichte gemahnendes Problem, nämlich Tätigkeit und Leiden als synthetisch vereint denken zu müssen, wenn wir uns selbst thematisieren. In der transzendentalen Ästhetik konnte noch nicht dargelegt werden, wie eine synthetische Ordnung in die Formen der Anschauung hineinkommen kann, denn dort geht es nur die Gegebenheit des Mannigfaltigen, um die Rezeptivität, erst mit der Lehre vom Schematismus als Selbstaffektion wird klar, dass es die Apperzeption (unter dem Namen der transzendentalen Einbildungskraft ist) die einheitliche Ordnung in die Formen der Anschauung hineinbringt (mittels der formalen Anschauung). Wenn wir uns nun selbst thematisieren, dann geschieht dies nicht nur diskursiv denkend, sondern auch sukzessiv anschauend, z. B. in unserer empirischen Entwicklung, und dies setzt voraus, dass die Zeit nicht mehr nur ein gegebenes Mannigfaltiges ist, sondern auch ein geordnetes Nacheinander. Vgl. Henry Allison: Kant's Transcendental Idealism. An Interpretation and Defense. Yale 22004, 190. Vgl. hierzu besonders erhellend Christian Hanewald: Apperzeption und Einbildungskraft. Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher Wissenschaftslehre. Berlin/New York 2001, 119 ff., 150-170 sowie 262-273; vgl. auch Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ›Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‹ von 1794. Darmstadt 2006, 139 f. und 145-161. Vgl. hierzu auch den teilweise differenzierteren Entwurf zu diesem Brief an Tieftrunk vom 11. Dezember 1797, der sich in der Universitätsbibliothek von Königsberg fand in Br, AA 13: 467 f. Vgl. zum Schematismus auch den Brief an Jacob Sigismund Beck vom 20. Januar 1792, Br, AA 11: 313. Das „Zusammensetzen" ist offenbar ein Terminus, den Kant zu dieser späteren Zeit als eine präzise deutsche Übersetzung gegenüber der technischer klingenden „Synthesis" seiner früheren Terminologie bevorzugt; was freilich keine Änderung in der Sache bedeutet. Vgl. Patricia Kitcher: Kant's Transcendental Psychology. New York 1990, 140 f.

By Rainer Schäfer

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Titel:
Die Zeit der Einbildungskraft - Die Rolle des Schematismus in Kants Erkenntnistheorie.
Autor/in / Beteiligte Person: Schäfer, Rainer
Link:
Zeitschrift: Kant-Studien, Jg. 110 (2019-09-01), Heft 3, S. 437-462
Veröffentlichung: 2019
Medientyp: academicJournal
ISSN: 0022-8877 (print)
DOI: 10.1515/kant-2019-3005
Schlagwort:
  • SPACETIME
  • INTUITION
  • APPERCEPTION
  • Subjects: SPACETIME INTUITION APPERCEPTION
  • figurative synthesis
  • self-affection
  • transcendental imagination
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: English
  • Document Type: Article
  • Author Affiliations: 1 = Institut für Philosophie, Universität Bonn Bonn Deutschland

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