Dieser Beitrag vertritt die These, dass sich hinter einer scheinbar perspektivlosen Objektivität im Recht, wie sie in der Figur des ‚objektiven Dritten' zum Ausdruck kommt, eine unter dem Deckmantel der Objektivität agierende weiße Perspektive verbirgt. Zur Plausibilisierung dieser These rekapituliert der Text kurz gängige Objektivitätsverständnisse, die Objektivität vor allem in Abgrenzung zu Subjektivität definieren und mit Neutralität gleichsetzen. Unter den bestehenden Kritiken an diesem Verständnis von Objektivität werden die feministischen sozialepistemologischen Theorien von Sandra Harding, Donna Haraway und Patricia Hill Collins hervorgehoben. Dass es sich bei einer nur dem Anschein nach objektiv-neutralen, tatsächlich aber partikularen Position oft um eine spezifisch weiße handelt, wird mit Bezug auf kritische Weißseinsforschung weiter erläutert. Anschließend illustrieren Beispiele aus der Rechtsprechung, die sich der Figur des objektiven Dritten bedienen, wie Objektivität als bloße Fiktion eingesetzt und damit die dahinterstehende partikulare Perspektive verschleiert wird. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick darauf, wie sich die als Objektivität nur getarnte weiße Deutungshoheit ersetzen lässt durch das Ideal der ‚starken Objektivität'.
This article argues that a conception of objectivity as neutrality in law, as expressed in the figure of the 'objective third person', conceals a white perspective acting under the guise of objectivity. The argument starts by briefly recapitulating common understandings of objectivity that equate it with neutrality. Among the existing critiques of this conception of objectivity, the text highlights the feminist social epistemological theories of Sandra Harding, Donna Haraway, and Patricia Hill Collins. The fact that the particular position in disguise is often a specifically white one is further explained with reference to critical whiteness studies. Subsequently, examples from case law that make use of the figure of the objective third person illustrate how objectivity is deployed as a mere fiction, thus obscuring the particular perspective behind it. The article concludes with an outlook on how white epistemological supremacy disguised as objectivity can be replaced by the ideal of 'strong objectivity'.
Keywords: objectivity in law; objective third parties; racism; whiteness
Danksagung: Für hilfreiche Kommentare und Hinweise danke ich den Teilnehmer*innen des Berlin-Zurich Workshop on Rights and (Socio-)Legal Theory, der ICON-S Germany Tagung in Gießen, sowie der Theory Group des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) am DeZIM-Institut. Besonderer Dank gilt dabei Christian Boulanger, Jessika Eichler, Anne Kühler, Pascal Meier, Nicole Nickerson, Jill Pöggel, und Stefano Statunato die das Manuskript in verschiedenen Stadien aufmerksam und kritisch gelesen haben.
Objektivität als Ideal spielt im Recht eine zentrale Rolle und dient dazu, die Autonomie des Rechts zu gewährleisten. Dennoch wird vor allem in der Rechtsdogmatik und Rechtspraxis wenig reflektiert, was unter Objektivität zu verstehen ist. Oft wird dadurch Objektivität gleichgesetzt mit Neutralität, mit dem Freisein von subjektiven Einflüssen. Dabei ist es nicht beliebig, welche partikulare Perspektive sich als objektiv im Sinne von neutral gerieren darf. An dieser Stelle ergänzt der vorliegende Beitrag bestehende Objektivitätskritiken, indem er sie mit Erkenntnissen aus der kritischen Weißseinsforschung verknüpft. Kritische Weißseinsforschung zeigt auf, wie sich eine weiße Perspektive als unmarkierte Normalität in Abgrenzung zu rassistisch markierten ‚Anderen' positioniert und dabei die Partikularität der weißen Perspektive verschleiert. Insbesondere für die Grund- und Menschenrechtsdogmatik sind diese Erkenntnisse von zentraler Bedeutung. Die systematische Abwertung der Perspektiven von Menschen, die sich auf ihre Rechte berufen, negiert den in den Grund- und Menschenrechten generell enthaltenen Anspruch der Gleichheit vor dem Recht.
Soll der Anspruch der Gleichheit vor dem Recht nicht aufgegeben werden, muss Objektivität neu gedacht werden. Objektivität als Neutralität, als vermeintlicher Blick aus dem Nirgendwo ([
Die Argumentation im vorliegenden Beitrag verläuft dabei wie folgt: Den Ausgangspunkt bildet eine kurze Rekapitulation gängiger Objektivitätsverständnisse, die Objektivität vor allem in Abgrenzung zu Subjektivität definieren und mit Neutralität gleichsetzen. Unter den bestehenden Kritiken, die dieses Verständnis von Objektivität als Neutralität in Frage stellen, werden die feministischen sozialepistemologischen Gedanken von Sandra Harding, Donna Haraway und Patricia Hill Collins hervorgehoben. Dass es sich bei einer nur dem Anschein nach objektiv-neutralen, tatsächlich aber partikularen Position oft um eine spezifisch weiße handelt, wird mit Bezug auf kritische Weißseinsforschung und andere Literaturbestände, die sich dem Konzept von Weißsein speziell im deutschen Kontext genähert haben, weiter erläutert. Anschließend illustrieren Beispiele aus der Rechtsprechung, die sich der Figur des objektiven Dritten oder objektiven Beobachters bedienen, wie Objektivität als bloße Fiktion – statt als anzustrebendes Ideal – eingesetzt und damit die dahinterstehende partikulare Perspektive verschleiert wird. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick darauf, wie sich die als Objektivität nur getarnte weiße Deutungshoheit ersetzen lässt durch das Ideal der ‚starken Objektivität'.
Das innerhalb der Rechtsdogmatik und Rechtspraxis vorherrschende Objektivitätsverständnis generiert seinen Bedeutungsgehalt vor allem in Abgrenzung zu Subjektivität, was ein Verständnis von Objektivität als Neutralität impliziert. Ablesen lässt sich das etwa an der gängigen Gegenüberstellung von subjektivem und objektivem Recht oder subjektiver und objektiver Auslegung (bspw. [
Aus diesem Verständnis von Objektivität als Neutralität speisen sich Ansprüche sowohl an die rechtsprechende Person und das ‚erkennende Gericht' als auch an die Methoden der Rechtsauslegung und -anwendung. Die Person, die eine Entscheidung darüber trifft, wie das geltende Recht im konkreten Fall anzuwenden ist, ist gehalten, diese Entscheidung in ihrer Funktion als Amtsträger*in und nicht als Privatperson zu treffen. Persönliche Wertvorstellungen, die keinen Anhaltspunkt im positiven Recht finden, haben danach die Entscheidung ebenso wenig zu leiten wie subjektive Präferenzen und Sympathien oder Zwänge politischer oder wirtschaftlicher Art ([
Die Anforderungen, die das Ideal der Objektivität als Neutralität dabei an Menschen stellt, die juristisch argumentieren, begründen und entscheiden, gehen dabei über die der richterlichen Unabhängigkeit hinaus. Der juristische Habitus verlangt nicht nur, dass die in juristischer Funktion auftretende Person frei von wirtschaftlichen Zwängen und politischem Druck ist, sondern dass sie als Person vollständig hinter das als unpersönlich und damit neutral gedachte Recht tritt. Pierre [
Die Argumentationsfigur des ‚objektiven Dritten' oder ‚objektiven Beobachters' ist ein besonders eindrückliches Beispiel für eine sprachliche und argumentative Technik, mit der Richter*innen in dem von Bourdieu geschilderten Sinne ihre Aussagen entpersonalisieren. Indem Richter*innen, Anwält*innen und andere in juristischer Funktion auftretende Personen die Figur des ‚objektiven Dritten' verwenden, setzen sie eine Technik ein, die verfremdende Effekte hat, sich von alltäglichen Sprachgewohnheiten juristischer Laien abhebt, und suchen zugleich eine Sprach- und Vorstellungsebene auf, die allen Jurist*innen gemeinsam ist ([
Die Haltung des verallgemeinernden Heraustretens aus dem eigenen Körper und der eigenen verkörperten Existenz, die der juristische Habitus verlangt, lässt sich treffend beschreiben mit dem, was Donna Haraway den „gaze from nowhere" – den Blick aus dem Nirgendwo – nennt (Haraway 1988: 581; vgl [
Anknüpfend an die Erkenntnis, dass Wissensproduktion in ihrer sozialen Situation und Position zu betrachten ist, hat sich das Forschungsfeld der sozialen Epistemologie herausgebildet. Während andere epistemologische Ansätze bei der Frage danach, was Menschen wissen können und wie wir zu Wissen gelangen, auf das einzelne erkennende Subjekt fokussieren, betont soziale Epistemologie die Einbettung der Wissenserzeugung in gesellschaftliche Zusammenhänge (vgl. [
Von zentraler Bedeutung sind dabei die Fragen danach, welche Standards wir anlegen, um zu beurteilen, ob etwas als ‚Wissen' zählt und warum wir an das glauben, was wir für wahr halten ([
Der Mangel an Repräsentation Schwarzer und anderer rassistisch markierter Menschen in der Wissenschaft und an anderen Orten der Wissensproduktion – einschließlich der rechtsprechenden Gewalt – trägt dazu bei, dass sich Gegenüberstellungen hartnäckig halten, die die Partikularität weißer Perspektiven verschleiern und stattdessen nur die Perspektiven rassistisch markierter Subjekte als spezifisch, subjektiv, persönlich, emotional, parteiisch einordnen, wohingegen weiße Wissensproduktion als universell, objektiv, neutral, rational und unabhängig gilt ([
Rassismuskritische Rechtswissenschaft muss den juristischen Objektivitätsanspruch zudem in der langen Tradition sehen, in der sich natur- und sozialwissenschaftliches sowie philosophisches Wissen über ‚Rassen' auf der einen und juristisches Wissen auf der anderen Seite gegenseitig legitimierten und rassistische Differenzierungs-, Markierungs- und Hierarchisierungspraktiken auf diese Weise objektivierten ([
‚Rasse' beschreibt keine biologisch zu unterscheidenden Gruppen, sondern eine sozial konstruierte Kategorie. Dementsprechend ist auch Weißsein nicht etwas, das ohne menschlichen Einfluss einfach da ist; noch weniger handelt es sich um eine unveränderliche biologische Eigenschaft von Menschen. Jedoch bedeutet der Umstand, dass ‚Rasse' sozial konstruiert ist, auch nicht, dass es sich um etwas handelt, das man einfach als nicht-existent abtun könnte ([
Die Geschichte des Rassismus in Deutschland ist eingebettet in eine globale und eine europäische Geschichte rassistischer Gewaltverhältnisse und weist innerhalb dieser Verflechtungen eigene Spezifika auf. Rassismus im heutigen Sinn ist ein System, in dem erstens Menschen in Gruppen klassifiziert werden, zweitens anknüpfend an die so konstruierte Gruppenzugehörigkeit diesen Menschen unveränderliche und vererbliche – meist negative – Eigenschaften zugeschrieben werden, wodurch drittens eine Hierarchisierung entsteht, die viertens dazu dient, gesellschaftliche Macht- und Dominanzstrukturen sowie die ungleiche Verteilung von Ressourcen zu legitimieren (vgl. z. B. [
Der Beginn der unmittelbaren Vorgeschichte des modernen Rassismus lässt sich auf das Jahr 1492 datieren (Liebscher 2021: 54 ff.). Im Jahr 1492 kapitulierte der letzte maurische Herrscher von Granada vor Isabella I. von Kastillien und Ferdinand II. von Aragón – den „Katholischen Königen". Dem damit verbundenen Abschluss der Reconquista folgte unmittelbar das Alhambra-Edikt, auf dessen Grundlage in Kastillien und Aragón lebende Jüdinnen*Juden entweder zwangsgetauft oder vertrieben wurden. Im gleichen Jahr brach Christoph Kolumbus im Auftrag der Katholischen Könige auf, um einen westlichen Seeweg nach Indien zu suchen, was zu der sogenannten ‚Entdeckung' Amerikas führte. Diese Ereignisse markieren den Beginn der Neuzeit und zugleich den Beginn eines neuzeitlichen, europäisch-christlich zivilisierten Selbstbildes in Abgrenzung zu den ‚wilden' ‚Anderen' in Amerika einerseits und andererseits zu den muslimischen und jüdischen ‚Anderen' auf dem europäischen Kontinent und den unmittelbar angrenzenden Gebieten Westasiens und Nordafrikas (zum Ganzen Liebscher 2021: 54 ff.). Die anschließende Säkularisierung, die Herausbildung systematischer Wissenschaften unter dem Primat der Naturwissenschaften, weitere koloniale Eroberungszüge, transatlantischer Versklavungshandel, kapitalistische Industrialisierung und die Herausbildung einer bürgerlichen Subjektivität in Abgrenzung sowohl zu der alten Standesgesellschaft als auch zu den rassifizierten ‚Anderen', bilden die Voraussetzungen des modernen Rassismus (Liebscher 2021: 57). Deutsche Philosophen der Aufklärung spielten eine zentrale Rolle bei der Legitimation kolonialer Gewaltverhältnisse (Piesche 2017). Hegel untermauerte das Selbstverständnis weißer Europäer*innen als einzig handelndes Subjekt der Geschichte, indem er Schwarzen Menschen Geschichtslosigkeit attestierte ([
Gleichzeitig veränderte der Kolonialismus die deutsche Gesellschaft. Koloniale Gewaltverhältnisse waren nicht nur in den Kolonien selbst spürbar. Reiseberichte, Darstellungen in Zeitungsartikeln, Fotografien, Werbeplakaten, sowie in Filmen und anderen Medien der Populärkultur machten koloniale Fantasien erfahrbar für die Massen in Deutschland (vgl. [
Weißsein als sozial konstruierte Kategorie beschreibt nicht lediglich und nicht primär die Hautfarbe eines Menschen, sondern eine Position in einer bestimmten sozialen Beziehung innerhalb einer auf spezifische Weise rassistisch strukturierten Gesellschaft (Liebscher 2021: 23). „Weiß bezeichnete nie nur helle Hautfarbe, sondern die Befähigung zur Zivilisiertheit" (Liebscher 2021: 65). Außerhalb offen rassistischer Kontexte, die bewusst eine weiße Vorherrschaft beanspruchen, taucht Weißsein nicht als eigene rassifizierte Kategorie auf. Vielmehr konstituiert sich Weißsein selbst als ‚unmarkierte' Kategorie dessen, wer und was als ‚normal' gilt im Gegensatz zu ‚Anderen', deren vermeintliches Anderssein wiederum in Abgrenzung zu der unausgesprochenen weißen Norm konstituiert wird. „Das hegemoniale weiße Zentrum kann somit unbenannt und unmarkiert bleiben und funktioniert dann sogar als eine neutrale Instanz" ([
Dabei hat Weißsein auch intersektionale Komponenten ([
Zusammenfassend lassen sich einige wesentliche Elemente festhalten, über die sich Weißsein in Deutschland definiert. Kennzeichnend für eine weiße Identität Europas war und ist die Abgrenzung zu innereuropäisch als Anderen konstruierten Jüdinnen*Juden, Muslim*innen sowie Sinti*zze und Rom*nja, sowie die Abgrenzung zu Schwarzen und indigenen Menschen, die im Zuge der Kolonialisierung unterdrückt, versklavt, gefoltert und ermordet wurden. Hinzu kommt als deutsche Besonderheit die Gleichsetzung von Deutschsein und Weißsein, sowie die seit dem Kaiserreich verstärkt betriebene abwertende Abgrenzung gegenüber Osteuropäer*innen und vor allem im Zuge der Arbeitsmigration seit den 1960er Jahren die Abgrenzung gegenüber Südeuropäer*innen.
Mit dem Umstand, dass in der deutschen Rechtspraxis eine weiße Norm als objektiv gesetzt wird, haben sich bereits Daniel [
Die Argumentationsfigur des ‚objektiven Dritten' wurde in der feministischen Rechtswissenschaft bereits ausführlich, vor allem in den Arbeiten von Elena [
Ein besonders eindrückliches – wenngleich schon etwas länger zurückliegendes – Beispiel für das Wirken der weißen Norm und die Abwertung von Schwarzen Perspektiven stellt das Verfahren vor dem VG Augsburg und dem Bayerischen VGH aus dem Jahr 2005 anlässlich des im Augsburger Zoo veranstalteten sogenannten „African Village" dar (vgl. zu diesem Fall auch Bartel et al 2017: 372 ff). Es begann damit, dass der Augsburger Zoo unter dem Titel „African Village" für einige Tage eine Sonderattraktion plante, bei der sich laut Ankündigungstext „[u]m eine einmalige afrikanische Steppenlandschaft" herum „Kunsthandwerker, Silberschmiede, Korbflechter, Zöpfchenflechter" gruppieren sollten ([
Juristisch wurde der Streit um das ‚African Village' in einem Eilverfahren vor dem VG Augsburg und anschließend vor dem VGH München ausgetragen. Ein in Berlin lebender kamerunischer Staatsangehöriger und Angehöriger des Volkes der Sawa, das in besonderem Maß unter den deutschen Kolonialpraktiken, insbesondere durch Verschleppung zum Zweck der Ausstellung in ‚Völkerschauen' gelitten hatte, beantragte vor dem VG Augsburg, die Stadt Augsburg im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, den Augsburger Zoo anzuweisen, vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die Durchführung der Veranstaltung ‚African Village' zu unterlassen. Er führte zur Begründung eines entsprechenden Unterlassungsanspruchs unter anderem aus, mit der Anknüpfung an die koloniale Praxis der ‚Völkerschauen' sei eine Verletzung seiner Menschenwürde und seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 I, 2 I GG), sowie des in Art. 3 III GG enthaltenen besonderen Gleichheitssatzes verbunden. Der entwürdigende Charakter ergebe sich insbesondere aus dem historischen Kontext der ‚Völkerschauen', die das Setting „weiße Deutsche schauen sich schwarze Afrikaner an" besonders unerträglich und entwürdigend machten.
Das VG Augsburg lehnte den Antrag ab mit der Begründung, der Antragsteller habe „nicht mit der notwendigen Deutlichkeit glaubhaft gemacht, dass es bei einem Besuch des Antragstellers im Zoo und einer Konfrontation mit den Auswirkungen der Aktion, z. B. bei einem Zusammentreffen mit Teilnehmern oder beim Betrachten von im Veranstaltungsprogramm vorgesehenen Darbietungen, zu einer Störung der öffentlichen Ordnung, zu Verstößen gegen die Rechtsordnung oder Verletzungen der Grundrechte des Antragstellers kommen wird". Das Gericht verwies auf diverse Materialien, die es seiner Einschätzung zugrunde gelegt hat, darunter das von der Antragsgegnerin vorgelegte Programm, die Äußerungen des Oberbürgermeisters und der Direktorin des Zoos, sowie ein Bericht der Augsburger Allgemeinen über die Veranstaltung. Diese dienten als Grundlage für die „hier veranlasst[e] objektiv[e] Betrachtung durch einen unbefangenen Beobachter". Die Wertungen des Antragstellers fanden nach der Einschätzung des Gerichts „keinen Anhalt in den tatsächlichen Gegebenheiten" und vermochten als „individuell-subjektive Sichtweise", nicht zu überzeugen. Auffallend ist dabei, welche Materialien nicht zur Grundlage der „objektiven Betrachtung aus Sicht eines unbefangenen Beobachters" gemacht wurden: Der Protestbrief vom 18.05.2005 und andere Stellungnahmen, in denen das Wissen Schwarzer Wissenschaftler*innen und Communities pointiert zum Ausdruck gebracht und das geplante ‚African Village' vor dem Hintergrund dieses Wissens eingeordnet wurden, fanden – anders als etwa die Stellungnahmen des Augsburger Oberbürgermeisters und der Zoodirektorin – keinen Weg in die Urteilsbegründung. Es lässt sich nur spekulieren darüber, aus welchem Grund dies geschah. Jedoch liegt die Annahme nahe, dass das VG Augsburg nicht nur die Perspektive des Antragstellers, sondern jede Stellungnahme, die sich in diesem Kontext explizit als Schwarz positionierte, als „individuell-subjektiv" und nicht objektiv genug abtat.
Auch der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München, der in diesem Verfahren in der nächsten Instanz zu entscheiden hatte, zog einen vermeintlich „objektiven Maßstab" heran, um die Frage nach dem Vorliegen einer Verletzung der Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 3 GG zu klären. Dabei ist besonders bemerkenswert, in welchem Kontext sich der VGH auf diesen „objektiven Maßstab" berief und womit er diesen kontrastierte:
„Eine Belästigung wegen Rasse oder ethnischer Herkunft in dem dargelegten Sinn setzt voraus, dass die von der öffentlichen Hand zu verantwortende Maßnahme in ihrer objektiven Interpretation und Finalität an die genannten Merkmale anknüpft und – vereinfacht ausgedrückt – ein negatives Milieu schafft. Ob dieses Umfeld besteht, ist entgegen der Auffassung der Antragstellerseite keine Frage der wissenschaftlichen Erkenntnis, der öffentlichen Meinung oder individueller Einschätzung, sondern obliegt der wertenden gerichtlichen Beurteilung anhand eines objektiven Maßstabs".
Woraus ergibt sich der „objektive Maßstab", den der VGH seiner wertenden gerichtlichen Beurteilung zugrunde legte, wenn nicht aus wissenschaftlicher Erkenntnis? Explizit gehen die Gründe des Beschlusses darauf nicht ein. Vielmehr steht der Anspruch der Objektivität für sich und kann somit aufgeladen werden mit den Normen, die keiner näheren Begründung bedürfen, weil sie ohne weiteres als „normal" gelten – sprich durch eine weiße Perspektive geprägte Normen. Obwohl der VGH in der oben zitierten Passage explizit erwähnt, auch die öffentliche Meinung sei kein angemessener Maßstab, rekurrieren die Gründe unmittelbar anschließend auf ein „heute allgemein anzutreffende[s] Verständnis", wonach Kulturveranstaltungen wie das ‚African Village' „ein Beitrag zu Toleranz und gegenseitiger Achtung" seien, „indem ein anderer Kulturkreis vorgestellt und seine Besonderheiten handwerklicher, kulinarischer und musischer Art werbend der Öffentlichkeit präsentiert werden". Das „allgemein anzutreffende Verständnis" ist also das Verständnis derjenigen, für die Schwarze oder afrikanische Kultur eine „andere" Kultur darstellt, die ihnen werbend vorgestellt werden muss um für „Toleranz" zu sorgen. Die öffentliche Meinung dient also dann nicht als objektiver Maßstab, wenn in dieser öffentlichen Meinung auch rassismuserfahrene Menschen zu Wort kommen. Ein „allgemein anzutreffendes Verständnis", das weiße Normen reproduziert und das Anderssein Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen rekonstruiert, kann dagegen ohne weiteres als Grundlage für einen „objektiven Maßstab" dienen.
Eine prominente Rolle spielt der ‚objektive Dritte' auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Kopftuchverboten. Die folgenden Ausführungen, die sich mit der Rechtsprechung zu Kopftuchverboten auseinandersetzen, sollen illustrieren, dass die weiße Norm im deutschen Recht nicht nur an Hautfarbe anknüpft, sondern dass Weißsein im oben beschriebenen Sinn eine Perspektive ist, die sich selbst nicht als eine Perspektive unter mehreren sondern als der Inbegriff der Normalität und damit als Maßstab für Andere begreift. Darüber hinaus illustriert eine rassismuskritische Analyse der Rechtsprechung zu Kopftuchverboten auch, wie rassistische Strukturen in Fällen wirken, in denen Art. 3 III GG nicht einmal von den Beschwerdeführerinnen angeführt wird.
In der Kopftuch I Entscheidung, in der es um eine Lehrerin ging, hatte die Beschwerdegegnerin argumentiert, „[d]as Kopftuch sei Ausdruck kultureller Abgrenzung und damit nicht nur religiöses, sondern auch politisches Symbol. Die mit dem Kopftuch verbundene objektive Wirkung kultureller Desintegration lasse sich mit dem Gebot der staatlichen Neutralität nicht vereinbaren". Auf eine Weise, die noch stärker in der Kopftuch-III-Entscheidung sichtbar werden wird, wird hier also in doppelter Weise auf den scheinbar neutralen und objektiven „Blick aus dem Nirgendwo (gaze from nowhere)" (Haraway 1988) rekurriert: Zum einen durch den Rekurs auf das Gebot der staatlichen Neutralität als solches und zum anderen durch die „objektive Wirkung", die dem Kopftuch zugeschrieben wird. Mit dem Gebot der staatlichen Neutralität kann nicht eine laizistische Ausrichtung des öffentlichen Dienstes gemeint sein, wie sie etwa in Frankreich praktiziert wird. Eine solche strikte Trennung zwischen Staat und Kirche kennt das deutsche Recht nicht, wie sich an Art. 140 GG und den darüber weiter geltenden Art. 136–141 der Weimarer Reichsverfassung ablesen lässt. Entscheidend für das hier von der Beschwerdegegnerin mobilisierte Verständnis staatlicher Neutralität ist das Stichwort „kultureller Desintegration", der wiederum das Ideal der Integration gegenübersteht. Integration, besonders in dem Verständnis als „kulturelle Integration" verlangt Eingliederung in eine Norm, die nie einen strukturierten, pluralistischen und demokratischen Normsetzungsprozess durchlaufen hat, die vielmehr schlicht als gesetzt gilt, weil sie unhinterfragt Normalität und Neutralität für sich in Anspruch nehmen kann. Das wiederum sind wesentliche Elemente dessen, was im obigen Abschnitt als Charakteristika einer weißen Norm beschrieben wurde, die sich nicht explizit selbst definiert, sondern deren Konturen nur durch Abgrenzung gegenüber den – hier muslimischen – Anderen erkennbar werden.
Nun hat eine Lehrerin, die Kopftuch trägt, nicht notwendigerweise die Intention, sich gegen die weiße Norm aufzulehnen, die von ihr Integration verlangt – weit über das Maß der Anerkennung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hinaus. Entscheidend soll aber nach Ansicht der Beschwerdegegnerin im Kopftuch-I-Verfahren nicht die Bedeutung sein, die die Lehrerin dem Kopftuch selbst beimisst. Vielmehr rekurriert die Argumentation auf die „objektive Wirkung". Der berühmte objektive Dritte wird hier zwar nicht direkt, wohl aber indirekt zum Protagonisten. Denn eine Wirkung kann das Kopftuch ja nur auf andere Menschen haben. Diese Wirkung kann nicht in dem Sinne objektiv sein, dass die Wirkung unabhängig von den persönlichen Auffassungen einzelner Personen immer die gleiche wäre. Bei der „objektiven Wirkung" kann also nur die Rede sein von der Wirkung auf eine Person, deren Beurteilung des Kopftuchs als objektiv gilt. Dass es dabei nicht um Menschen gehen kann, die selbst oder deren Familienmitglieder ebenfalls Kopftuch tragen, versteht sich von selbst.
Das BVerfG selbst hielt offenbar die Motive der Lehrerinnen, die Kopftuch tragen, nicht für irrelevant und ging nicht ohne weiteres von einer „objektiven Wirkung kultureller Desintegration" aus. Das Gericht befragte eine Sachverständige, die wiederum in einer qualitativen Studie 25 muslimische Lehramtsstudentinnen nach den Motiven gefragt hatte, die sie dazu bewegten, entweder ein Kopftuch zu tragen oder nicht. Aus den Ergebnissen dieser Studie hob das BVerfG hervor, dass zwölf der befragten Studentinnen angegeben hatten, das Kopftuch als Zeichen ihrer Identität als Teil der Diaspora und aus Respekt vor den Traditionen ihrer Eltern tragen zu wollen. Der ‚objektive Dritte' taucht in der Argumentation des BVerfG auf, sobald es sich von den individuellen Motiven der Lehramtsstudentinnen ab- und der Frage zuwendet, wie eine Lehrerin mit Kopftuch von anderen Menschen wahrgenommen wird. Dabei nimmt das BVerfG nicht nur Bezug auf den ‚objektiven Dritten' in Form des ‚objektiven Empfängerhorizonts', sondern legt auch dar, was es damit meint: „Für die Beurteilung der Frage, ob die Absicht einer Lehrerin, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, einen Eignungsmangel begründet, kommt es darauf an, wie ein Kopftuch auf einen Betrachter wirken kann (objektiver Empfängerhorizont); deshalb sind alle denkbaren Möglichkeiten, wie das Tragen eines Kopftuchs verstanden werden kann, zu berücksichtigen". Zwar rückt das BVerfG damit teilweise ab von der Vorstellung, die Objektivität mit Neutralität gleichsetzt. Trotz dieses Verständnisses des ‚objektiven Dritten' als ein Amalgam aller denkbaren Perspektiven auf eine kopftuchtragende Lehrerin fällt in der anschließenden Begründung jedoch auf, wessen Perspektiven das BVerfG nicht – jedenfalls nicht ausdrücklich – berücksichtigt. Beispielsweise kommen die Perspektiven von Schüler*innen, deren Mütter Kopftuch tragen, oder die Perspektiven von ebendiesen Müttern nicht vor. Benannt werden nur die Perspektiven von Schüler*innen und deren Eltern, die befürchten könnten, dass eine kopftuchtragende Lehrerin religiösen Einfluss auf die Schüler*innen ausübt. Zu berücksichtigen ist dabei natürlich, dass die Beschwerdeführerin in der Kopftuch-I-Entscheidung sich im Ergebnis durchsetzen konnte und dass es üblich ist, sich in Gerichtsurteilen besonders ausführlich mit den Argumenten der unterliegenden Seite auseinanderzusetzen. Anders verhielt es sich in der Kopftuch-III-Entscheidung.
Die Kopftuch-III-Entscheidung betraf eine hessische Rechtsreferendarin, der das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt aufgrund der Tatsache, dass sie Kopftuch trug, unter anderem untersagte, Sitzungsleitungen oder Beweisaufnahmen durchzuführen und Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft zu übernehmen. Darüber hinaus durfte die Referendarin aufgrund ihres Kopftuchs auch nicht auf der Richterbank Platz nehmen, sondern durfte an Sitzungen ihrer Ausbilder*innen nur aus dem Zuschauer*innenraum teilnehmen. Die Anweisungen des OLG Frankfurt beruhten auf einem Erlass des Hessischen Justizministeriums vom 28. Juni 2007. Als Rechtsgrundlage für diesen Erlass berief sich das Hessische Justizministerium zunächst auf den seit 2004 geltenden § 68 II des Hessischen Beamtengesetzes (HBG) und anschließend auf den identischen § 45 HBG in der zwischen 2014 und 2021 geltenden Fassung:
„
Schon der Wortlaut des in der Zwischenzeit gestrichenen § 45 S. 3 HBG lässt erkennen, was sich hinter der postulierten (Schein)neutralität verbirgt: das christliche und humanistische ‚Abendland' behauptet sich gegen die muslimische ‚Andere'. Bei der Beurteilung der Frage, ob § 45 HBG und die darauf fußenden Akte des Hessischen Justizministeriums und des OLG Frankfurt verfassungsgemäß seien, rekurrierte das BVerfG wiederum auf den objektiven Beobachter: „Aus Sicht des objektiven Betrachters kann insofern das Tragen eines islamischen Kopftuchs durch eine Richterin oder eine Staatsanwältin während der Verhandlung als Beeinträchtigung der weltanschaulich-religiösen Neutralität dem Staat zugerechnet werden". In doppelter Hinsicht wendet hier das Bundesverfassungsgericht den ‚god-trick' mit dem ‚gaze from nowhere' an – ähnlich wie die in der Kopftuch-I-Entscheidung nicht in dieser Form aufgegriffene Argumentation der damaligen Beschwerdegegnerin: Erstens erscheint das Ideal einer scheinbar perspektivlosen und gleichzeitig allumfassenden Sichtweise in den Anforderungen an die weltanschaulich-religiöse Neutralität im öffentlichen Dienst und zweitens in der Figur des ‚objektiven Beobachters', aus dessen fiktiver Perspektive zu beurteilen sei, ob den Neutralitätsanforderungen im konkreten Fall entsprochen wird. Wie Nahed Samour ausführte, wurde mit der „strikten" oder „absoluten" Neutralität ein neues Verfassungsgut geschaffen, das dem Zweck dient, „dem gefühlten Empfinden einer Mehrheit entgegenzukommen, um die Grundrechte von Minderheiten erleichtert einzuschränken" ([
Die obigen Beispiele verdeutlichen, wie die Vorstellung von Objektivität als Neutralität zusammenwirkt mit Vorstellungen, die Neutralität (unwillkürlich) mit Weißsein gleichsetzen. Sandra Harding, deren Kritik an der Gleichsetzung von Objektivität und Neutralität zu Beginn dieses Beitrags erläutert wurde, setzt dem das Ideal der strong objectivity entgegen. Dieses sieht eine andere Haltung des Heraustretens aus der eigenen Perspektive in Form von detachment vor (Harding 1992: 582–584). Gemeint ist nicht ein abstrahierend-verallgemeinerndes Heraustreten, sondern eines, das aus möglichst vielen Perspektiven immer wieder prüft, auf welche Weise bestehende Machtstrukturen den Prozess der Wissenserzeugung verzerren.
Menschen, die nicht daran gewöhnt sind, dass ihre Perspektiven stets als allgemeingültige Perspektiven eines neutralen und objektiven Modellmenschen gelten, sind in besonderem Maße (wenn auch nicht ausschließlich und immer) befähigt dazu, solche institutionell angelegten Verzerrungen zu entdecken (Harding 1992: 577–578). Diese Kernthese der feministischen Standpunkt-Theorie (vgl. [
Eine detaillierte Auseinandersetzung damit, wie eine ‚starke Objektivität' in der Rechtsprechung als Ideal verankert werden kann, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Als Ausblick auf zukünftig anzustellende Überlegungen, lassen sich jedoch einige Eckpunkte festhalten. Es ist eine detailliertere Auseinandersetzung damit notwendig, wie das für eine starke Objektivität erforderliche detachment gelingen kann und wie dieses in der juristischen Ausbildung an Universitäten und im Referendariat verankert werden kann. Zu den Schritten, die zur Annäherung an das Ideal der ‚starken Objektivität' außerdem getan werden müssen, gehört es auch, ein institutionelles Umfeld zu schaffen, das mehr Diversität in den juristischen Berufen zulässt und das einer diverseren Gruppe an Menschen regelmäßig auch faktisch Zugang zu Gerichten gewährt. Diskriminierung im Studium und bei den juristischen Staatsexamina ([
By Sué González Hauck
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